Der Elefant im Raum. Die EZB zieht zwar die Daumenschrauben für Athen an, setzt aber die Eurozone insgesamt unter Druck

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Bild: CC-Lizenz, EZB 2014

Nur wenige Tage nach der Europatour einiger Minister der neuen griechischen Regierung ließ die Europäische Zentralbank (EZB) die Muskeln spielen. Sie kündigte an, griechische Staatsanleihen nicht mehr als Sicherheiten zu akzeptieren. Das war ein Wink mit dem Zaunpfahl, denn vor allem griechische Banken nutzen die Papiere, um sich bei der EZB mit frischem Geld zu versorgen. Ohne diese Möglichkeit könnten sie schnell pleite sein und Griechenland dem Rauswurf aus der Eurozone einen Schritt näher. Bisher machte die EZB eine Ausnahme, denn eigentlich haben Ratingagenturen bereits so schlechte Noten vergeben, dass die Hüterin des Euro Anleihen nicht mehr annehmen darf. Sie hat es bis zum 11. Februar 2015 aber nur deshalb gemacht, weil Griechenland sich verpflichtete, sich der Troika zu unterwerfen. Als der neue griechische Finanzminister, Yanis Varoufakis, in einer seiner ersten Amtshandlungen die weitere Zusammenarbeit mit den »Men in Black« aufkündigte, sah die EZB keine Grundlage mehr, für die griechischen Anleihen eine Ausnahme zu machen.

Das europäische Sozialmodell ist Vergangenheit
Viele interpretierten die EZB-Ankündigung, keine Anleihen mehr zu akzeptieren, als politisch motiviert und als Versuch, die Daumenschrauben anzuziehen. Selbst Linke stimmten plötzlich in den Chor ein, die EZB solle sich doch bitte politisch neutral verhalten. Bisher war genau ihre Unabhängigkeit und scheinbare Neutralität immer das, was kritisiert wurde. Zudem bleibt die Frage offen, warum die EZB einerseits den Druck gegenüber Griechenland erhöhte, indem sie die Sonderregelungen aufhob, gleichzeitig aber den griechischen Banken neue Möglichkeiten der Geldversorgung zugestand.

Dass die EZB auch bisher nicht neutral war, zeigt nicht nur die Beteiligung an der Troika und ihre streng monetaristische Politik, die jedes neoliberale Herz höher schlagen lässt, sondern auch ihr Briefverkehr mit Staaten der Europeripherie. Nachdem ein Journalist klagte, musste die EZB einen Brief veröffentlichen, dessen Existenz die EZB und der ehemalige spanische Ministerpräsident José Zapatero immer verleugnet hatten, den Zapatero dummerweise aber in seinen Memoiren erwähnte. Die EZB veröffentlichte ihn schließlich zu einem politisch günstigen Zeitpunkt, nämlich an »Heiligabend« 2014, was den gewünschten Effekt hatte: keinen. Der Brief ist deutlich – vor allem zwischen den Zeilen: Wenn Spanien nicht bereit sei, den Arbeitsmarkt zu deregulieren, die Löhne unter Druck zu setzen, staatliche Ausgaben zu kürzen, dann werde die EZB im Gegenzug nicht bereit sein, spanische Staatsanleihen aufzukaufen, um so der Spekulation gegen Spanien und den explodierenden Anleihezinsen ein Ende zu setzen. Einen ähnlichen Brief bekamen Italien und Irland, und EZB-Präsident Mario Draghi gab später zu Protokoll: »Das europäische Sozialmodell ist Vergangenheit!«

Die EZB ist der Elefant im Raum. Bereits mit der Ankündigung, Staatsanleihen von Staaten der Europeripherie zu kaufen, konnte Draghi im Sommer 2012 den Höhenflug der Zinsen für die südlichen Euroländer mit nur einem Satz stoppen: »Wir werden alles tun, um den Euro als stabile Währung zu erhalten – und glauben Sie mir, es wird genug sein« – so der EZB-Chef auf der Global Investment Conference in London. Hier zeigte sich die Macht der EZB gegenüber dem Finanzkapital, obwohl sie nur andeutet, dass auch sie der Kreditgeber letzter Instanz, der »lender of last resort«, sein könnte. Denn die Taschen von Zentralbanken sind recht tief, wenn diese nur wollen: Sie können das Geld einfach drucken, mit dem sie die Staatsanleihen aufkaufen, was etwa in den USA, Japan oder Großbritannien gängige Praxis ist.

Ihre politische Gestaltungsmacht zeigte die EZB auch, als Zypern der EU die Stirn bieten wollte. Die EZB brauchte nur damit zu drohen, die Notfallkredite zu sperren, die die nationalen Notenbanken nur unter Zustimmung der EZB vergeben können (ELA, Emergency Liquidity Assistance) – und Zypern lenkte auf den Kurs der EU ein. Auch der griechischen Nationalbank wurde die Vergabe von Notfallliquidität zugestanden und sogar das Volumen vergrößert, über das verfügt werden kann. Griechenland hofft darauf, dass, wenn es auf EU-Ebene zu keiner Lösung kommt, sich dank dieser Maßnahmen wieder bei den griechischen Banken frisches Geld organisieren lässt, etwas, was die EU-Staaten nicht wollen können.

Eine Griechenlandpleite: Lehman Brothers im Quadrat
Das bedeutet aber auch: Die Linke muss sich eingestehen, dass die EZB den Druck gegenüber der gesamten EU erhöhte, um einen politischen Umgang mit dem Gegenwind aus Athen zu finden. Denn die EZB wird sich wahrscheinlich nicht mehr wie bisher an der Austeritätspolitik beteiligen können. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) steht zwar noch aus, aber ein Gutachten des Generalanwalts Cruz Villalón deutet bereits darauf hin, dass das für den Euro wichtige Anleihe-Aufkaufprogramm (OMT) nur unter Auflagen rechtens ist, vor allem unter der Voraussetzung, dass sich die EZB politisch raushält und sich bei Finanzhilfeprogrammen politisch nicht beteiligt. Athens Weigerung, mit der Troika unter den bisherigen Bedingungen weiterhin zu kooperieren, fällt somit mit einer EuGH-Entscheidung im Herbst zusammen, die die EZB politisch »an die Leine« legen könnte. Bereits im März 2014 hatte sich das Europäische Parlament für die Abschaffung der Troika ausgesprochen, und auch der ehemalige Kommissionspräsident, Jean Claude Juncker, kündigte bereits Mitte 2014 an, die Troika zu »reformieren«.

Auch die bisherige SYRIZA-Politik scheint von der Einschätzung geleitet zu sein, dass die EZB Griechenland in der Eurozone halten will. Vor diesem Hintergrund ist zu verstehen, warum der Ökonom und SYRIZA-Berater, Jannis Milios, gegenüber dem Handelsblatt betont, dass die EZB kein Interesse an einem Austritt aus der Eurozone haben kann und deshalb auf eine politische Lösung drängt: »Wenn ein Land die Währungsunion verlassen muss, zerfällt die Währungsunion, egal wie klein das Land ist. Die Reaktion der Finanzmärkte wäre nicht beherrschbar. Das wäre wie ein neues Lehman Brothers im Quadrat.«

Erschienen in: ak – analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 602 vom 17.2.2015