FAQ. Noch Fragen? Investitionslücke

Nachdem das Haushaltsloch gestopft ist und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) eine schwarze Null schreiben kann, war plötzlich in der Zeitung von einem neuen Mangel zu lesen: Um eine bestehende »Investitionslücke« zu stopfen, seien bis 2017 jährlich mehrere Milliarden Euro notwendig – so ein Gutachten der Ökonomen Henrik Enderlein und Jean Pisani-Ferry für das deutsche Wirtschaftsministerium. Bereits im August 2014 hatte das Deutsche Wirtschaftsinstitut (DIW) behauptet, dass schwache Investitionen ein geringes Wachstum zur Folge hätten. Warum aber sollen ausbleibende Investitionen dafür verantwortlich sein, dass die Wirtschaft kaum wächst? Wenn keine Investitionen getätigt werden, werden keine Arbeitskräfte engagiert, werden keine Rohstoffe und Produktionsmittel gekauft – und keine Waren hergestellt, die wiederum verkauft werden. Okay. Aber gilt der Satz nicht auch anders herum? Sind die Investitionen nicht deshalb so schwach, weil die Wirtschaft kaum wächst? Wann sind Unternehmen bereit, Geld in die Hand zu nehmen, sogar Kredite aufzunehmen und zu investieren, das heißt Geld für Löhne, Rohstoffe und Produktionsmittel auszugeben? Genau, dann, wenn die Wirtschaft wächst, Profite winken, aus investiertem Geld (G) mehr Geld (G’) wird. Es zeigt sich also, dass Investitions- und Wachstumsschwäche zwei Seiten einer Medaille sind, nämlich der kapitalistischen Verwertungslogik, deren unmittelbarer Zweck die Verwertung von Geldkapital ist – und der »ultimative Zweck allen Wirtschaftens« ist eben nicht, wie ZEIT-Wirtschaftsredeakteur Mark Schiernitz im Zuge der Debatte um die Investitionslücke behauptete, »der Konsum«.

Lange Zeit war das staatliche Credo, für die Profitabilität von Investitionen die Löhne und Steuern zu senken. Selbst die Krise kratzte bisher kaum an diesem Einmaleins neoliberaler Wirtschaftspolitik. Und dennoch hat sich der Diskurs etwas verschoben. Nicht erst seit dem Erfolg von Thomas Pikettys Buch über die sich verschärfende Ungleichheit der letzten Jahrzehnte wird herausgestellt, dass soziale Ungleichheit wachstumshemmend wirke und große Konzerne und Superreiche doch bitte Steuern zahlen sollen. In dieses Horn blasen inzwischen auch die OECD und der IWF. Überhaupt müsse der Staat, nachdem er den Banken Geld hinterhergeworfen habe, endlich etwas für die »Realwirtschaft« tun bzw. das tun, was eigentlich deren Job wäre: investieren. Das gelte vor allem für Deutschland, so etwa das DIW. Marode Brücken, Schlaglochpisten und zu wenig Ausgaben bei Forschung und Bildung seien hierfür ein Kennzeichen. Aber nicht nur staatliche Investitionen in das, was Marx die »allgemeinen Produktionsbedingungen« nannte, werden hier und da gefordert, sondern natürlich sollen auch private Investitionen durch Steuererleichterungen oder Subventionen wieder attraktiver werden.

Alle Vorschläge haben zum Ziel, dass die Bewegung G-G’ wieder rund läuft, sie bewegen sich nur von unterschiedlichen Seiten auf das gleiche Problem zu – und es ist ein Problem. Das muss seit Monaten etwa die Europäische Zentralbank (EZB) erfahren, die mit ihrem geldpolitischen Latein am Ende ist. Selbst eine Nullzinspolitik führt nicht dazu, dass billiges Geld auch investiert wird. Schließlich versucht die EZB mit ihrer Strategie die Hürde dafür, dass G-G’ auch profitabel ist, möglichst gering zu halten. Aber auch das hilft nichts. Hartz IV und die jahrelange Lohnzurückhaltung führen dazu, dass der private Konsum als Nachfragefaktor de facto ausfällt; der Staat spart selbst und gehört etwa als Bauträger zu den säumigsten Zahlern. Wenn dann auch noch das Kapital sein Geld lieber an den Finanzmärkten platziert, statt es risikoreich und wenig profitabel zu investieren, stottert das Wachstum.

Aber nochmals zur Lücke: Zwischen was soll die eigentlich aufklaffen? Marode Brücken sind gefährlich, aber das, was sie überbrücken, kann kaum die Lücke sein, von der hier die Rede ist. Es ist wohl auch nicht die zwischen Angebot und Nachfrage. Laut DIW hängt die Lücke von der »gesamtwirtschaftlichen Investitionsquote« ab, also dem Verhältnis von Bruttoanlageinvestitionen (also inklusive Abschreibungen) zum Bruttoinlandsprodukt. Anhand dieser Kennziffer, so das DIW, »lässt sich beurteilen, wie stark ein Land in seine künftige wirtschaftliche Entwicklung investiert«. Und im Vergleich zu anderen Ländern herrsche in Deutschland eine Investitionslücke von rund drei Prozent des BIP. Es geht also bei der Lücke um die Konkurrenz auf dem Weltmarkt um anlagesuchendes Kapital und um Marktanteile. Auf dem Weltmarkt regelt eben nicht nur die unsichtbare Hand des Marktes das Geschehen, sondern auch die Faust des Staates – und die muss auch mal Geld in die Hand nehmen.

Ingo Stützle

Erschienen in: ak — ana­lyse & kri­tik. Zei­tung für linke Debatte und Pra­xis, Nr. 600 vom 16.12.2014.