Krisenstab: Das mit den E-Mails regelt der Markt

Wer kennt das nicht: Die Inbox quillt von E-Mails über, die Möglichkeiten, einzelne E-Mails als ungelesen oder farbig zu markieren, sie in Ordner zu sortieren, sind ausgereizt. Ganz Findige schicken sich E-Mails selbst nochmals zu, damit sie wieder nach oben rutschen, was das Problem nur potenziert, schließlich werden es ja noch mehr E-Mails. Ein weiterer Trick: die E-Mail-Flut erst nach der Mittagspause zu lesen und zu bearbeiten, dann, wenn der Körper konzentrierte Arbeit verweigert – und trotzdem liest man als erste Amtshandlung des Tages alle E-Mails.

Statt das Problem mit der kaum bewältigbaren Masse an E-Mails zu individualisieren, sollte es einen kollektiven Umgang mit dem Problem geben, schließlich sagen schon die Krankenkassen, dass die E-Mail-Berge krankmachen. Für ein solch komplexes Problem gebe es eine effiziente Lösung: den Markt. Das meinen zumindest die Ökonomen Bruno S. Frey und Christian Ulbrich in der »FAZ« . Getreu dem Motto, zu Unrecht sei der Markt in den letzten Jahren verunglimpft worden, argumentieren sie wie jedes neoklassische VWL-Lehrbuch. Für einen funktionierenden Markt braucht man demnach: Knappheit an Ressourcen und unendliche Nachfrage gleichermaßen, ein Anreiz- bzw. ein Preissystem, das dann bei knappen Ressourcen eine effiziente Allokation ermöglicht. Ausgangspunkt soll natürlich der Mensch sein, um ihn gehe es schließlich. Und der Mensch ist, das will uns die Ökonomie schon immer weismachen, ein Homo oeconomicus, ein nutzenmaximierendes Wesen – deshalb sind richtige Anreize wichtig. So wie die Banker durch falsche Anreize das Falsche machen (Bankenkrise), so müssen bei Verwendung von E-Mails nur die Anreize stimmen, damit sie uns nicht stressen.

Wie könnte nun ein gutes Anreizsystem aussehen? Richtig, als Preissystem. Daher brauchen wir nur eine Software, die ein Preissystem für E-Mails ermöglicht. Schließlich haben wir bei Knappheit an Zeit und Aufmerksamkeit, dem klassischen Ausgangsproblem der bürgerlichen Ökonomietheorie, gleichzeitig ein »Überangebot« an E-Mails infolge der »vernachlässigbaren Kosten für die Absender«. Dank eines Preissystems kann die knappe Zeit, die man nun mal fürs Lesen und Beantworten von E-Mails zur Verfügung hat, effizient genutzt werden. Das würde dank einer E-Mail-Währung (»Relevance Unit«) und eines Preissystems (»Mail Application with Relevance Classification«, kurz MARC) funktionieren. Nun haben wir alle Elemente, die einen effizienten Markt ausmachen. Wir setzen einfach die bereits existierende Möglichkeit, E-Mails eine (geringe, hohe oder sehr hohe) Priorität zu geben, in Wert: Alle Teilnehmenden müssen sich überlegen, wie viele E-Mails pro Tag sie mit höchster Priorität erhalten wollen. Diejenigen, die E-Mails verschicken wollen, müssen nun einschätzen, ob eine E-Mail für den Empfänger sehr oder weniger wichtig ist – aus den Informationen von Angebot und Nachfrage kann MARC dann eine Preiskurve für E-Mails ermitteln.

Damit das Relevance-Unit-System gut funktioniert, muss es der Geldwertstabilität verpflichtet werden. »Die Zahl der ›Relevance Units‹, die jeder Angestellte eines Unternehmens am Monatsanfang erhält«, ist deshalb beschränkt. Die »Geldmenge« muss für den Monat reichen und alle Marktteilnehmenden müssen sich überlegen, »welche E-Mails wirklich wichtig sind und welche nicht«. Ist der Geldbeutel leer, können auch keine E-Mails mehr verschickt oder weitergeleitet werden. Kurzum: »Die mittels Preisen sichtbar gemachten versteckten Kosten stellen einen ausreichenden Anreiz dar, innerhalb eines Unternehmens vernünftig mit E-Mails umzugehen.« Problem gelöst.

Dass der Markt eigentlich bei allem funktioniert, meinte Bruno S. Frey vor Jahren bereits am Beispiel des Terrorismus zeigen zu können. Hintergrund waren die Anschläge am 11. September 2001. Man müsse, so Frey, nur die »Opportunitätskosten« eines Terroristenlebens erhöhen, indem man Karrierealternativen aufzeigt. Als Beweis zog Frey zugleich Deutschland heran: »Wenn es nach Bush ginge, dürfte Deutschland nie einen Außenminister Joschka Fischer haben, der früher der terroristischen Szene ganz nahe war.« Gib jedem Terroristen die Chance auf einen Ministersessel und alles wird gut.

Mit der Krise galten die Wirtschaftswissenschaften und die Marktideologie diskreditiert. Die Zeitungslektüre zeigt, dass die Marktideologie noch ganz schön agil ist.

Erschienen in: neues deutsch­land, 2.6.2014.