FAQ. Noch Fragen? Ukraine: Hilfe gegen Auflagen

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Das Engagement von US-Banken ist der Russland ist zurückhaltender als das von EU-Banken. Quelle: Bruegel

Bei Marx heißt es, dass im Kapitalismus der stumme Zwang der ökonomischen Verhältnisse herrsche. »Außerökonomische, unmittelbare Gewalt wird zwar immer noch angewandt, aber nur ausnahmsweise.« Was Marx hier über das Verhältnis von Kapital und Lohnarbeit schreibt, gilt auch für Staaten. Zwar finden nach wie vor Kriege zwischen Staaten statt,vorherrschend aber sind »Wirtschaftskriege« sowie positive und negative Sanktionierung. Das muss auch die Ukraine erfahren – nicht nur das laute Säbelrasseln soll Kiew zu der einen oder anderen Politik bewegen.

Staaten sind abhängig von Wirtschaftswachstum, das Steuern einbringt, und einer stabilen Währung – sowohl nach innen (Geldwertstabilität) als auch nach außen (Wechselkurs). Die ukrainische Währung Hrywnja war vier Jahre lang an den US-Dollar gekoppelt, was nur geht, wenn der Kurs stabilisiert wird – durch die Notenbank, die mit Devisen die eigene Währung kauft. Im Mai 2011 hatte die ukrainische Nationalbank noch 38 Milliarden US-Dollar Devisenreserven. Mitte März 2014 waren es nur noch 15,4 Milliarden US-Dollar – Tendenz sinkend. Gleichzeitig stürzt die Währung ab, d.h. die Schulden verteuern sich in der heimischen Währung – für Regierung und Private. Aufgrund der schwindenden Devisenreserven kann die eigene Währung jedoch nicht gestützt werden.

Mit sinkendem Wechselkurs werden auch Importe teurer. Damit eröffnet sich ein Teufelskreis, weil die Ukraine, um die Importe bezahlen zu können, ausländisches Kapital braucht. Das bekommt sie aber nicht: Vermögende ziehen vielmehr ihr Geld aus der Ukraine ab – Kapitalflucht.

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Auch nicht alle EU-Banken sind gleichermaßen in der ukrainischen Wirtschaft verstrickt. Quelle: Bruegel

Aber auch das Geld diverser Banken in der Ukraine ist vakant: Vor allem österreichische Banken haben Kredite in der Ukraine »investiert« – etwa 7 Milliarden US-Dollar. Es folgen italienische (5,9 Milliarden), französische (5,3 Milliarden), griechische (1,5 Milliarden) und deutsche Banken (1 Milliarde).

Dass die Ukraine für das Kapital nicht mehr attraktiv ist, ist auch Resultat der Weltwirtschaftskrise von 2008. Allein 2009 brach das Bruttoinlandsprodukt um fast 15 Prozent ein. Aber auch zuvor spielte die Ukraine keine große Rolle auf dem Weltmarkt – erst ab 2000 gab es einen bescheidenen Wirtschaftsboom. Zwischen 1991 und 1999 schrumpfte die Wirtschaftsleistung um 60 Prozent. Die Lebenserwartung sank von 71 auf 67 Jahre. Die Ukraine liegt derzeit mit ihrer Wirtschaftsleistung hinter Peru und den Philippinen.

Einbrechende Steuereinnahmen könnten zu einem Problem werden, schließlich muss die Ukraine allein dieses Jahr Staatsanleihen für 15 Milliarden US-Dollar zurückzahlen (kommendes Jahr noch einmal so viel). De facto ist die Ukraine pleite: Ende Februar stufte die Ratingagentur Standard & Poor’s die ukrainische Kreditwürdigkeit auf CCC herab. Danach kommt die Note D – Bankrott. Bleibt sparen und Hilfe von außen. Bereits im Februar zahlte die Regierung keine Renten mehr aus. Weiter soll bei Kindergeld und Beamtenbesoldung gespart werden. Bis März 2014 will die neue Regierung bis zu 17 Prozent aller Staatsausgaben für 2014 streichen: Kürzungen staatlicher Investitionen und Gehälter, Halbierung der Renten für die RuheständlerInnen, die sich noch etwas hinzuverdienen. Der Mindestlohn soll nicht mehr an das Existenzminimum angepasst werden. Das ist ganz im Sinne des IWF, der Finanzhilfen in Aussicht gestellt hat, aber an Auflagen knüpft. Und der neue Premier Arsenij Jazeniuk stellte schon an seinem ersten Arbeitstag klar: »Wir sind bereit, alle Bedingungen zu erfüllen.« Der IWF dringt zudem auf eine Liberalisierung des Energiesektors, d.h. die Subventionen sollen dem Gesetz von Angebot und Nachfrage weichen. Für Privathaushalte könnten sich die Gasrechnungen verdreifachen.

Aber nicht nur der IWF, sondern auch die EU hat Finanzhilfen in Aussicht gestellt – Anfang März etwa elf Milliarden Euro: Drei Milliarden Euro sollen aus dem EU-Haushalt kommen, weitere drei Milliarden von der Europäischen Investitionsbank und fünf von der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD).

Wenn die EU mit Geld lockt, dann natürlich auch Russland: Bereits im Dezember 2013 bot Russland seine Hilfe an und einen Kredit über 15 Milliarden US-Dollar sowie einen Rabatt bei den Gaspreisen von 30 Prozent.

Aber auch Russland hat die Möglichkeit, negativ zu sanktionieren und an der Preisschraube drehen – dank Gazprom. Statt wie bisher 269 US-Dollar je 1.000 Kubikmeter soll der ukrainische staatliche Erdgaskonzern Naftogas ab April 378 US-Dollar auf den Tisch legen. Geld, das Kiew nicht hat.

Ingo Stützle

Erschienen in: ak – analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 592 vom 18.3.2014