Zweck der Automatisierung und der Begriff des informationellen Kapitalismus

Einer neuen Studie zufolge könnten in den USA schon in naher Zukunft 47 Prozent aller Jobs der Automatisierung »zum Opfer fallen«, so telepolis, die sogleich die Top-10 der am meisten gefährdeten Berufe anführen. Angesichts dieser durchaus berechtigten »Befürchtung«, zeigt sich erneut die Aktualität der marxschen Kritik. Im 13. Kapitel des ersten Bandes des Kapital, dem Kapitel über »Maschinerie und große Industrie«, zitiert Marx John Stuart Mills »Prinzipien der politischen Ökonomie«:

Es ist fraglich, ob alle bisher gemachten mechanischen Erfindungen die Tagesmühe irgendeines menschlichen Wesens erleichtert haben.

Marx kommentiert kritisch:

Solches ist jedoch auch keineswegs der Zweck der kapitalistisch verwandten Maschinerie. Gleich jeder andren Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit soll sie Waren verwohlfeilern und den Teil des Arbeitstags, den der Arbeiter für sich selbst braucht, verkürzen, um den andren Teil seines Arbeitstags, den er dem Kapitalisten umsonst gibt, zu verlängern. Sie ist Mittel zur Produktion von Mehrwert.

Wer also über Automatisierung spricht, darf vom Kapitalismus nicht schweigen.

Deshalb kritisiert Sabine Nuss in ihrem jetzt frei zugänglichen Buch »Copy­right & Copy­riot« gänginge Begrifflichkeiten, die versuchen, die neueren Entwicklungen auf den Begriff zu bringen:

Der Diskurs zur Wissens- und Informationsgesellschaft hat einen verschleiernden Effekt insofern, als der Begriff Kapitalismus darin zumeist nicht vorkommt. […] TuK-Techniken dienen lediglich als Mittel zur Realisierung dieses Zwecks [der Kostenminimierung] und wirken demzufolge selbstredend auch auf die Strukturen zurück. Auch wenn Menschen und Unternehmen auf noch so hohem Niveau technisch ausgerüstet sind, ist die Ausnutzung dieser Technologie eine sozial getroffene Entscheidung, keine technisch erzeugte. Die Technik bietet lediglich die Möglichkeit. Dieses Zweck-Mittel-Verhältnis von Vergesellschaftungsform und Technologie ließe sich bei allen im Diskurs zu Wissensgesellschaft oder Informationsgesellschaft aufgezählten Phänomenen finden. Es sollte hier aber bereits deutlich geworden sein, dass es nicht die Technologie außerhalb jeglichen sozialen Kontextes ist, die handelt, sondern ihre kapitalistische Anwendung. Es ist damit die Funktionslogik des Kapitals, welche die technischen und gesellschaftlichen Bedingungen des Arbeitsprozesses umwälzt. Insofern ist die technische Basis der modernen Industrie immer schon revolutionär, und dies hat weitreichende Auswirkungen auf die Arbeitsverhältnisse und die Inhalte der Arbeit. (S. 32)

Deshalb schlägt Nuss den Begriff »informationellen Kapitalismus« vor. Zum einen »um die Umwälzung der Produktionsverhältnisse auf der Basis einer neuen Technologie zu betonen;
zum anderen, um die spezifische Gesellschaftsform, in welcher dies geschieht, bei
ihrem Namen zu nennen.«

Erst vor diesem Hintergrund macht es Sinn, über Automatisierung und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen zu diskutieren, eine Diskussion, die in Begriffen wie zweiter Moderne, Wissens- oder Informationsgesellschaft etc. pp. nur unzureichend geführt werden kann.