Staatsbankrott – Nachtrag zur Buchvorstellung

Geld unter die Bank kehrenGestern kam bei der Buchvorstellung von Austerität als politisches Projekt die Frage auf, ob Staaten Pleite gehen können und welche größeren Länder in den letzten Jahren zahlungsunfähig waren. Neben einer Wikipedia-Liste finden sich gleich mehrere Aufzählungen in der umstrittenen Studie von Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff.

Auch in der Broschüre Ist die ganze Welt bald pleite? sind wir auf die Frage eingegangen, wann Staaten pleite sind – keine einfache Frage:

›Pleite‹ ist ein schwieriger Begriff, wenn man ihn auf Staaten anwendet. Bei einem Unternehmen ist es leicht: Die Firma kann ihre Rechnungen oder Zinsen nicht mehr bezahlen, erhält von Banken keinen Kredit mehr. Es folgt das Insolvenzverfahren. Kommt der Insolvenzverwalter zum Schluss, dass nichts mehr zu retten ist, wird das Unternehmen aufgelöst, was zu verkaufen ist wird verkauft, und die Gläubiger werden aus den Verkaufserlösen so gut es geht bedient. Dann ist die Firma weg. Continue reading “Staatsbankrott – Nachtrag zur Buchvorstellung”

Das neue EZB-Gebäude soll 2014 eröffnet werden – Proteste sind angekündigt

Am Wochenende diskutierten bei der internationalen Blockupy-Aktionskonferenz in Frankfurt am Main 450 TeilnehmerInen, wie es mit den europäischen Protesten 2014 weitergehen soll (siehe auch nd-Artikel). Im Mai soll es dezentrale Aktionstage geben und eine Transnationalisierung. In einer Pressemitteilung heißt es zudem:

Im Mittelpunkt der Blockupy-Proteste im kommenden Jahr wird die Eröffnung des neuen Gebäudes der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main stehen. Das haben mehr als 450 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der internationalen Blockupy-Aktionskonferenz am Wochenende in Frankfurt beschlossen. »Die EZB plant für den Herbst 2014 ein ›großes Ereignis‹ – dieses Ereignis werden wir sein. Wir laden all diejenigen, die sich in Europa und darüber hinaus der Verarmungspolitik widersetzen, für den Herbst 2014 nach Frankfurt ein. Eine ungestörte Eröffnungsfeier wird es nicht geben«, sagte Blockupy-Sprecher Christian Linden. Da das Datum der Eröffnungsfeier noch nicht feststeht, plant das Bündnis eine Mobilisierung zum ›Tag X‹, wie sie unter anderem aus der Anti-Castor-Bewegung bekannt ist.

Während Blockupy in den letzten zwei Jahren immer im Mai die Frankfurter City unsicher machte, ist geplant, die Eröffnung der neuen EZB-Baulichkeiten zu stören. Was und warum sollte man die EZB kritisieren und sogar auf der Straße mobilisieren?

Die EZB ist keine Bank wie jede andere. Sie ist eine Zentralbank. Was aber unterscheidet eine Zentralbank von Geschäftsbanken, und was verbindet sie? Zentralbanken und Geschäftsbanken bilden das moderne zweistufige Bankensystem, wobei die Zentralbank als Notenbank an der Spitze steht. Geschäftsbanken sind kapitalistische Unternehmen und können in Depositen- und Investmentbanken unterschieden werden, d.h. nach den Geschäftsfeldern, denen sie maßgeblich nachgehen. Depositenbanken sammeln das Geld von KundInnen ein, das sie im Rahmen ihres Kreditgeschäfts verleihen. Das wichtigste Betätigungsfeld des sogenannten Investmentbankings ist hingegen der Kapitalmarkt. Hier werden keine Kredite vergeben, sondern KundInnen bei der Anlage von Vermögen, der Ausgabe von Aktien oder der Emission von Anleihen beraten und unterstützt. Ein zentrales Geschäftsfeld ist jedoch der Eigenhandel, d.h. der eigene Handel mit Wertpapieren. Wie Industrieunternehmen nehmen die Banken hierfür Kredit auf. Der Kundenstamm ist im Vergleich zu »normalen« Banken kleiner, dafür vermögender, da zu den KundInnenen Unternehmen und Regierungen gehören.

Weiterlesen in ak 588,

Tho­mas Sablow­ski und Eti­enne Schnei­der haben bereits im Mai ein Standpunkte-Papier zur EZB geschrieben.

Mit dem Freihandelsabkommen TTIP will sich Deutschland einen guten Platz unter der Weltmarktsonne sichern.

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Foto: CC-Lizenz, N. Linneberg

Nach der Pleite von Lehman Brothers 2008 war das Geschrei groß. Fast noch lauter war aber die Euphorie darüber, die Krise führe endlich dazu, dass der neoliberalen Marktgläubigkeit abgeschworen werde. Der Staat kehre nun zurück, die ÖkonomInnen hätten ihre Glaubwürdigkeit verloren. Viele Linke freuten sich über das bürgerliche Unbehagen am Kapitalismus im FAZ-Feuilleton. Die Strahlkraft des Neoliberalismus und die Versprechen des Freihandels würden verblassen, glaubten viele. Pustekuchen! Continue reading “Mit dem Freihandelsabkommen TTIP will sich Deutschland einen guten Platz unter der Weltmarktsonne sichern.”

Keynesianism is not Necessarily Leftist

Austerity policies in the EU are often presented as having no alternative.  Many leftists, on the other hand, hope for a better life from Keynesianism.  Jungle World spoke with me about the euro crisis, austerity, and Keynesianism.  My study »Austerity as a Political Project« was published this Summer.

JW: What do you mean by “austerity as a political project”?

IS: The title refers to contemporary developments in the eurozone.  I raised the question as to how the financial policy model of the balanced budget could be europeanized with the creation of the euro.  Ultimately, such policies don’t just fall from the sky, nor can they simply be derived from the dynamic of accumulation.  A political project integrates disparate social and political forces that do not necessarily consciously follow the same goal.  But within a specific historical constellation, their activity converges upon a common result.  That was the case with the euro and the model of the balanced budget.  Since then, Canada also wants to legally codify this principle, and US President Obama, after the budget conflict, called on the Republicans to make common cause with him, despite all their differences, in order to present a balanced budget.

Read further on the northstar.

Translated from the German by Alexander Locascio. Thanks a lot!

Immobilienpreise: Der Sachverständigenrat und der Sound des Sachzwangs

wohnenDer Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung legte letzte Woche sein Jahresgutachten 2013/2014 vor. Es trägt den Titel »Gegen eine rückwärtsgewandte Wirtschaftspolitik«. Was mein rückwärtsgewandt? Etwa beim Problem der explodierenden Mieten?

»Bei allen Eingriffen in den Preismechanismus ist zu bedenken, dass Preise in einer Marktwirtschaft wichtige Signale darstellen. Dies gilt natürlich auch für die vor allem in Großstädten stark anziehenden Immobilienpreise und Mieten. Sie spiegeln in erster Linie die wachsende Attraktivität dieser Regionen wider … Das Marktsignal höherer Preise trägt dazu bei, das durch Zuwanderung gestörte Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage wieder ins Lot zu bringen. Für Investoren wird ein Anreiz geschaffen, verstärkt in einer solchen Region zu investieren. Für Nachfrager wird demgegenüber die Attraktivität des Zuzugs gemindert.« (JG 2013/2014, Ziffer 861)

Klartext? Politische Eingriffe sind rückwärtsgewandt (etwa sozialer Wohnungsbau, Mietdeckelung, Regulierung des Wohnungsmarkts, Mietrecht, Mietspiegel etc.). Es lebe der Marktmechanismus, das Herzstück der neoliberalen Ideologie. Schließlich soll der Geldbeutel darüber entscheidet, wer wo wie wohnen kann und darf. Dem guten Marktgleichgewicht zuliebe, wird Zuzug auch gerne mal umgekehrt (könnte man Vertreibung bezeichnen) – alles schön in neutraler Sprache verpackt, die nur anonyme und effiziente Märkte, Preismechanismen, Anreize sowie Angebit und Nachfrage kennt.

Stephan Kaufmann nannte diesen Jargon einmal in den Blättern den Sound des Sachzwangs.

Keynesianismus ist nicht unbedingt links

AusteritaetAxel Berger hat mich für die aktuelle Ausgabe der Jungle World zu meinem Buch »Austerität als politisches Projekt« interviewt.

Wir sprachen über die Grenzen von Staatsverschuldung, ob Keynesianismus links ist und ob ein Austeritätskurs und ein defizitärer Staatshaushalt ein Widerspruch sind.

Den erwähnten Text von Sabine Nuss zum Gebrauchsanleitungs-Kapitalismus findet ihr in der Zeitschrift LUXEMBURG.

Die Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft geben eine Zugaben zum Wunschkonzert

PianoIm Februar diesen Jahres veröffentlichten die Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft den Text »Krisenlösung als Wunschkonzert« in der Zeitschrift ak – analyse und kritik in der Hoffnung, eine Debatte über die Wirtschaftskrise anzustoßen und einige Illusionen, wie diese zu lösen wäre, zu kritisieren.

Daraufhin erschienen in ak Antworten von Dario Azzellini, Anna Dohm, Alexander Gallas und Jörg Nowak sowie Ingo Stützle.

Die Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft resümieren nun diese »Zugaben zum Wunschkonzert«.

Zweck der Automatisierung und der Begriff des informationellen Kapitalismus

Einer neuen Studie zufolge könnten in den USA schon in naher Zukunft 47 Prozent aller Jobs der Automatisierung »zum Opfer fallen«, so telepolis, die sogleich die Top-10 der am meisten gefährdeten Berufe anführen. Angesichts dieser durchaus berechtigten »Befürchtung«, zeigt sich erneut die Aktualität der marxschen Kritik. Im 13. Kapitel des ersten Bandes des Kapital, dem Kapitel über »Maschinerie und große Industrie«, zitiert Marx John Stuart Mills »Prinzipien der politischen Ökonomie«:

Es ist fraglich, ob alle bisher gemachten mechanischen Erfindungen die Tagesmühe irgendeines menschlichen Wesens erleichtert haben.

Marx kommentiert kritisch:

Solches ist jedoch auch keineswegs der Zweck der kapitalistisch verwandten Maschinerie. Gleich jeder andren Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit soll sie Waren verwohlfeilern und den Teil des Arbeitstags, den der Arbeiter für sich selbst braucht, verkürzen, um den andren Teil seines Arbeitstags, den er dem Kapitalisten umsonst gibt, zu verlängern. Sie ist Mittel zur Produktion von Mehrwert.

Wer also über Automatisierung spricht, darf vom Kapitalismus nicht schweigen. Continue reading “Zweck der Automatisierung und der Begriff des informationellen Kapitalismus”

»Copyright & Copyriot« von Sabine Nuss befreit

nuss»Die Frei­heit ist immer die Frei­heit der Eigen­tums­ord­nung« – so überschrieb ich meine Buchbesprechung von Sabine Nuss’ Studie »Copyright & Copyriot«. Das war 2007. Angesichts der Entwicklung im Bereich der digitalen Welt liegt es nahe, dass ein Buch über die »Aneignungskonflikte um geistiges Eigentum im informationellen Kapitalismus« ebenso schnell veraltet wie die Prozessorleistung in einem Computer (Tablets waren 2007 noch Zukunftsmusik) oder die Speicherkapazitäten von Festplatten – dem ist aber ganz und gar nicht. Im Gegenteil.

Nuss geht nicht dem Gerede vom »ganz Neuen« und »Revo­lu­tio­nä­ren« auf den Leim, son­dern zeigt auf, dass der Kapi­ta­lis­mus trotz aller Ände­run­gen bestän­dig geblie­ben ist. (ak 516)

Weil Sabine Nuss das Thema geistiges Eigentum allgemeiner und damit grundsätzlicher angeht, ist ihre Studie trotz aller oberflächlichen Veränderung – Apps, Streaming und Tablets – nach wie vor hoch aktuell. Das Buch stellt zwar keine »neuen« Maß­stäbe für die Debatte »Aneignungskonflikte um geistiges Eigentum« auf, aber ein Maßstab ist die Studie  allemal und nach wie vor. Deshalb ist es besonders erfreulich, dass Sabine Nuss »Copyright & Copyriot« befreit und zum freien Download auf ihre Website gestellt hat.

 

Linke Literatur mit politischem Rahmenprogramm: Der Verleger Jörg Sundermeier im Interview

Jedes Jahr im Oktober findet in Frankfurt die Buchmesse statt. Der Büchermarkt ist in einem Umbruch begriffen – nicht nur, weil sich mit Internet und E-Books das Leseverhalten verändert hat. Auch weil es Zentralisierungsprozesse gibt, was kleineren Verlagen mehr Spielraum gibt und sie zugleich unter Druck setzt. Über den Büchermarkt, kritisches Potenzial von Literatur, dicke Bücher und E-Books sprach ich für ak – analyse & kritik mit Jörg Sundermeier vom Berliner Verbrecher Verlag. Wenige Wochen vor der Buchmesse in Frankfurt am Main, im Biergarten des Clash im Berliner Mehringhof, ergab sich bei ein paar Bieren folgendes Gespräch. Continue reading “Linke Literatur mit politischem Rahmenprogramm: Der Verleger Jörg Sundermeier im Interview”

Die Deutschen werden unerträglich sein – 20 Jahre Verträge von Maastricht

»Wenn wir die eine gemeinsame Währung haben und die Deutschen vereint sind, wird es unerträglich sein« – so die frühere britische Premierministerin Margaret Thatcher 1989. Aber der Euro war nicht ein Resultat der Umbrüche von 1989/1990. Das Ende der DDR und des Realsozialismus wirkten nur beschleunigend. Schon vor dem Fall der Mauer drängte Frankreich auf eine Vergemeinschaftung der Währung und eine europäische Geldpolitik. Bereits 1985 erörterten François Mitterrand und Helmut Kohl wieder die Idee einer gemeinsamen Währung. Bereits 1969 wurde eine europäische Währung beschlossen, aber nie umgesetzt. Warum wurde in den 1980ern der monetäre Ball wieder aufgenommen? Ein Grund lag darin, dass Frankreich im Zuge der neoliberalen Integration den Kürzeren zog und geldpolitisch nach der Pfeife der Deutschen Bundesbank tanzen musste. Continue reading “Die Deutschen werden unerträglich sein – 20 Jahre Verträge von Maastricht”