Wettbewerbsfähigkeit eine Absage erteilen. Die Linke sollte sich nicht über die »Selbstkritik« des IWF freuen

Der Chefvolkswirt des Internationalen-Währungsfonds (IWF), Olivier Blanchard, und sein Kollege Daniel Leigh haben Anfang des Jahres ein Arbeitspapier veröffentlicht, das SozialdemokratInnen und GewerkschafterInnen jubeln ließ: Die Sparanstrengungen der letzten Jahre hätten das Wachstum in Europa stärker beeinträchtigt als erwartet. Hatten das Linke und Gewerkschaften nicht immer gesagt?!

siestaErnsthaft bezweifelt hat die negativen Auswirkungen der Sparpolitik auf das Wirtschaftswachstum eigentlich niemand. Wenn die gesellschaftliche Nachfrage zurückgeht, etwa durch Austeritätspolitik, werden weniger Waren verkauft, bleibt das Wirtschaftswachstum aus, verwertet sich das Kapital schlechter. Denn die neoliberalen Ideologen setzen ja gerade auf einen Anpassungseffekt, setzen eben nicht auf die Seite der Nachfrage, sondern drängen auf die Verbesserung des Angebots, sprich: besser ausbeutbare Arbeitskraft. Löhne, soziale Abgaben und Steuern sind für das Einzelkapital wesentlich Kostenfaktor. Der Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, vertritt sogar öffentlich die Position, dass die negativen Effekte hingenommen werden müssten, um eine nachhaltige Erholung der Wirtschaft zu ermöglichen, d.h. Kapital wieder profitabel werden zu lassen.

Dies zeigt, dass die Austeritätspolitik in Europa nicht eine Frage richtiger wirtschaftspolitischer Konzepte oder ökonomischer Vernunft ist, sondern Resultat von Klassenkämpfen und Auseinandersetzungen darüber, wie die Krisenlasten sozial verteilt werden – auch zwischen den Eurostaaten. Schließlich war es vor allem Deutschland, das die Fahne des Sparens und der Strukturanpassung hochhielt. Für das deutsche EZB-Direktoriumsmitglied Jörg Asmussen sind etwa Arbeitsmarktreformen in südlichen Euroländern »der Schlüssel, wenn ein Land im Euro bleiben möchte«. (Märkische Allgemeine, 3.7.2012)

Die politische Dimension zeigt sich auch daran, dass, als der IWF vor zehn Jahren eine Auswertung seiner fiskalischen Anpassungsprogramme zwischen 1993 und 2001 vorlegte, er zu dem kaum erstaunlichen Ergebnis kam, dass immer wieder zu hohe Sparauflagen verordnet wurden, weil das Wirtschaftswachstum zu stark fiel. Würde der IWF seine eigene wissenschaftliche Kompetenz ernst nehmen, wäre er als Teil der Troika kaum dabei gewesen, die von der Krise betroffenen Länder der Europeripherie mit Austeritätspolitik und Anpassungsmaßnahmen zu überziehen. Das Verhätnis von wissenschaftlicher Expertise und politischer Strategie zeigte sich auch keine Woche nach der Veröffentlichung des IWF-Arbeitspapiers: Von Portugal forderte der Weltwährungsfonds Kürzungen im Umfang von vier Milliarden Euro, 50.000 Entlassungen im öffentlichen Dienst; außerdem sollen die Renten um 20 Prozent gekürzt und die Gesundheitsgebühren angehoben werden.

Es gibt aber keinen Grund für Linke, sich über die selbstkritische Beurteilung der Sparmaßnahmen freuen. Die zu erreichenden Ziele, die mal mit mehr oder weniger defizitfinanzierter Wirtschaftspolitik verfolgt werden, sind nämlich die gleichen: Wirtschaftswachstum, Wettbewerbsfähigkeit und günstige Rahmenbedingungen für die Kapitalverwertung schaffen.

Das Ziel der Konkurrenzfähigkeit ist nämlich das Lebenselixier der Kapitalverwertung und der Soundtrack für einen aggressiven Nationalismus und Rassismus innerhalb Europas.

Eine Voraussetzung dafür ist in Deutschland der Bruch der Gewerkschaften mit der Sozialdemokratie. Dass dieser nicht abzusehen ist, weiß auch die Bundesregierung, die die deutschen Mitmachgewerkschaften an ihrer Seite hat. Das bezeugte die Neujahrsrede von Angela Merkel: »Es sind die … Gewerkschafter und Unternehmer, die gemeinsam für die Sicherheit der Arbeitsplätze arbeiten«.

Ingo Stützle

Erschienen in: ak – analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 579 vom 18.1.2013