FAQ. Noch Fragen? Draghikomödie: Viel Lärm um nichts

Nachdem EZB-Chef Draghi bekannt gab, dass die Europäische Zentralbank (EZB) unbegrenzt Staatsanleihen aufkaufen würde, war die Aufregung groß – zumindest in den deutschen Medien. Die Springerzeitung Die Welt (6.9.2012) beklagte, dass die Finanzmärkte den »Tod der Bundesbank« bejubelten; Nikolaus Blome bedauerte auf bild.de einen »Blanko-Scheck für Schulden-Staaten« und fragte rhetorisch, ob »Draghi damit den Euro kaputt« mache?

Angela Merkel hingegen gab zu Protokoll, dass das Aufkaufprogramm vom EZB-Mandat gedeckt sei. Selbst Bundesbankchef Jens Weidmann, der als einziger Vertreter im EZB-Rat gegen die Wiederaufnahme des Aufkaufprogramms stimmte, vermied es geflissentlich, zu behaupten, das Programm sei illegal. Vielmehr sprach er im Vorfeld von »Bauchschmerzen«, die er bei diesem »heiklen« Vorhaben habe, das er »jedenfalls vermeiden« wolle.

Die EZB begründete ihren Schritt, Staatsanleihen aufzukaufen, damit, dass ihre Möglichkeiten zur Geldpolitik beeinträchtigt seien. Die sich stark auseinander entwickelnden Zinsen für Anleihen beeinflussten das Zinsniveau im Euroraum insgesamt negativ und setzen die einheitliche Geldpolitik außer Kraft. Vor allem in den Südländern führen die hohen Zinsen zu teuren Krediten, was Investitionen unwahrscheinlicher macht und so die Rezession verschärft.

Die Aufregung über das neue Aufkaufprogramm ist verwunderlich, denn schließlich ist es restriktiver ausgelegt als dasjenige, das unter dem ehemaligen EZB-Präsidenten Jean Claude Trichet vor zwei Jahren aufgesetzt wurde. Gewichtige Eurostaaten konnten sich nicht durchsetzen, vielmehr herrscht der deutsche Stabilitäts- und Austeritätskurs. So hatte Italiens Ministerpräsident Mario Monti gefordert, dass die EZB automatisch eingreift, wenn Zinsspreads italienischer Staatsanleihen eine kritische Schwelle überschreiten. Der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy wollte, dass die EZB Spanien ohne weitere Auflagen zu Hilfe kommt. Beides verhinderte Mario Draghi.

Die Eurozentralbank kauft nun nur kurzfristige Staatsanleihen und nicht direkt bei den Regierungen, sondern nur auf dem Sekundärmarkt, d.h. von Banken, Versicherungen oder institutionellen Anlegern, die die Staatanleihen als Wertpapier halten.

Zudem werden nur Anleihen von Staaten gekauft, die offiziell beim Rettungsschirm EFSF bzw. ESM Hilfe beantragt haben. Diese wird nur unter Auflagen gewährt, d.h. neoliberalen Anpassungsmaßnahmen wie Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, Spar- und Privatisierungsmaßnahmen und Verlängerung der Lebensarbeitszeit. So verlangt die Troika von Griechenland die Wiedereinführung der Sechstagewoche.

In Deutschland ist besonders die Angst vor Inflationsgefahr groß. Zu Recht? Wie beim letzten Mal wird die EZB die durch den Aufkauf von Staatanleihen geschaffene Liquidität wieder neutralisieren. Das bedeutet, dass die Geldmenge, die die EZB durch den Kauf dem Markt bzw. dem Finanzkapital zur Verfügung stellt, dem Markt durch geldpolitische Maßnahmen wieder entzieht. Selbst unter monetaristischen Annahmen, d.h. dass einer erhöhten Geldmenge notwendigerweise Inflation folgt, besteht also keine Inflationsgefahr.

Auch ist der Aufkauf kein historischer Tabubruch. Laut einer Analyse der Bank BNP Paribas kaufte die Deutsche Bundesbank im Sommer 1975 Staatsanleihen und Anleihen der Deutschen Bundespost für 7,6 Milliarden D-Mark. Das entsprach einem Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP). Der wirtschaftspolitische Hintergrund war damals ein ähnlicher. Die sinkende Nachfrage nach deutschen Staatstiteln ließ das Zinsniveau steigen und verteuerte Kredite für Investitionen. In einer Phase, in der sich die Wirtschaft bereits in einer Rezession befand, beeinflussten die hohen Zinsen die Geldpolitik der Bundesbank negativ, die durch stabile Zinsen stimulierend auf die Investitionsentwicklung einwirken wollte. (Der Spiegel, 27.10.1975)

Auch im Vergleich zu anderen Ländern zeigt sich, wie zurückhaltend die EZB im Aufkauf von Staatsanleihen ist. Die japanische Notenbank hat bereits Anleihen in einem Umfang von 25 Prozent des BIP gekauft – die USA 18 Prozent. Die EZB hat hingegen erst Staatsanleihen im Umfang von drei Prozent aufgekauft. Für einige ÖkonomInnen – wie etwa Paul de Grauwe – ist das genau der Kern des Problems. Weil die EZB nicht als »Lender of last Resort« handelt, als Kreditgeber in letzter Instanz, ist das Finanzkapital nicht bereit, Staatsanleihen der Südländer zu halten, weshalb die Zinsen steigen. Demzufolge könnte in Zukunft nicht das Problem sein, dass die EZB Anleihen aufkauft, sondern im Gegenteil, dass sie dies nur sehr zurückhaltend und unter sehr restriktiven Bedingungen macht.

Ingo Stützle

Erschienen in: ak – analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 575 vom 21.9.2012