FAQ. Noch Fragen? Warum kauft die EZB Staatsanleihen?

Ein Gespenst geht um in der Eurozone. Nicht der Kommunismus, sondern, zumindest für die Deutsche Bundesbank, viel schlimmer: der Aufkauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank (EZB). Was ist damit gemeint? Anleihen sind die gängigste Form, wie sich Staaten auf den Finanzmärkten Geld leihen.

Eine Anleihe ist ein Wertpapier mit einem festen Zinssatz und hat einen Nennwert, auf den sich der festgelegte Zinssatz bezieht. Für einen Kredit von einer Million Euro werden beispielsweise zehn Anleihen zu einem Nennwert von 100.000 Euro ausgegeben – im Folgenden zur Vereinfachung zu einem Zinssatz von zwei Prozent. Die Laufzeit einer Staatsanleihe beträgt 10 bis 30 Jahre. Während dieser Laufzeit fallen jährlich Zinsen ab, zwei Prozent auf 100.000 Euro, d.h. 2.000 Euro.

Anleihen werden während der Laufzeit auch gehandelt, also an der Börse ge- und verkauft. Jedoch nicht unbedingt zum Nennwert. Beispiel: Sinkt die Kreditwürdigkeit eines Landes, muss es für einen neu aufgenommenen Kredit höhere Zinsen zahlen. Für die alten Anleihen heißt das: Sie werden nur gekauft, wenn sie eine gleich hohe Rendite abwerfen. Denn Anleger wären ja schön blöd, die weniger rentablen Anleihen zu kaufen. Was bedeutet das? Verdoppelt sich für eine neu ausgegebene Anleihe von 100.000 Euro der Zinssatz von zwei auf vier Prozent, so bekommt der/die BesitzerIn der Anleihe jährlich 4.000 Euro. Das ist das Doppelte der alten Anleihe, trotz gleichem Nennwert. Die alte Anleihe kann deshalb nicht mehr für 100.000 Euro verkauft werden, niemand würde sie kaufen. Deshalb wird die alte Anleihe nur noch für 50.000 Euro gehandelt. Denn damit ist sie mit der neuen Anleihe gleich rentabel und wirft bei einem Zinssatz von vier Prozent 2.000 Euro ab.

Dieser Mechanismus greift auch dann, wenn die Anleger eine Zinserhöhung erwarten und deshalb nicht bereit sind, für Anleihen den vollen Nennwert zu bezahlen. Das passiert, wenn Zeitungen titeln: »Renditen spanischer Staatsanleihen ziehen kräftig an«. Umgekehrt wird das Sinken des Kurswerts einer Anleihe selbst als Hinweis darauf gedeutet, dass die Zinsen steigen müssen, die Gläubiger keine gute Bonität (Kreditwürdigkeit) mehr vorweisen. Genau das geschieht seit Monaten. Anleger wollen entweder die Anleihen (von Griechenland) gar nicht mehr kaufen bzw. können sie kaum verkaufen oder (im Fall von Spanien) nur zu einem hohen Abschlag vom Nennwert – die Verzinsung steigt damit. Die Folge: Spanien etwa kann sich nur zu sehr hohen Zinsen neu verschulden, zu einem Zinssatz, der langfristig nicht »tragbar« ist. Damit entsteht ein Teufelskreis. Die Finanzmärkte sprechen Ländern wie Spanien die Kreditwürdigkeit ab, die Zinsen steigen. Die Länder werden angehalten, zu sparen, was zum Einbruch der Wirtschaftsleistung führt und damit den Zweifel nährt, ob sie ihre Schulden überhaupt bedienen können. Daraufhin sinkt die Kreditwürdigkeit, die Zinsen steigen weiter.

Dieser Teufelskreis soll durch den Aufkauf von Staatsanleihen durch die EZB unterbrochen werden, da so die Nachfrage steigt und die Zinsen sinken. In den USA, Japan oder Großbritannien ist das gängige Praxis. So kaufte die US-Zentralbank Fed in den Jahren 2010/2011 Anleihen der US-Regierung in Höhe von 900 Milliarden US-Dollar. Selbst die EZB griff aufgrund der Zuspitzung der Eurokrise temporär zu dieser eigentlich verbotenen Maßnahme: Bis März 2012 hat sie Staatsanleihen im Wert von über 211 Milliarden Euro aufgekauft.

Auf Druck der Bundesregierung wurden diese Maßnahmen jedoch Anfang 2012 eingestellt. Warum? In Deutschland herrscht eine tief verankerte »Stabilitätskultur«, die mit einer panischen Angst vor Inflation einhergeht. Diese ist vor dem Hintergrund der Erfahrungen in den USA, Japan oder Großbritannien nicht haltbar und theoretisch kaum plausibel. (Siehe ak 551) Sie ist dennoch nicht unwichtig, weil die politische Klasse die Angst in der Bevölkerung nicht nur schürt, sondern sie auch fürchtet – vor allem vor den nächsten Wahlen.

Allein »kulturell« ist das Vorgehen jedoch nicht zu erklären. Vielmehr geht es um Machtpositionen innerhalb Europas. Deutschland will die anderen Staaten disziplinieren – u.a. durch hohe Zinsen. So sieht Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank, in den steigenden Zinsen »einen Antrieb für Politiker, ihre Hausaufgaben zu machen und durch Reformen das Vertrauen der Finanzmärkte wiederzugewinnen«. (Reuters, 18.4.2012) Erneut hat sich Deutschland durchgesetzt: Die EZB wird Staatsanleihen nur dann aufkaufen, wenn sich die Staaten zu Austerität verpflichten und beim Rettungsschirm offiziell Hilfe beantragen. Im Kleingedruckten steht zu lesen: Dort können sie nur anklopfen, wenn Fiskalpakt und Schuldenbremse in nationales Recht umgesetzt sind.

Ingo Stützle

Erschienen in: ak – analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 574 v.17.8.2012