Das Making of Staatsschuldenkrise. Wer in der Krise die Definitionsmacht über das Problem hat, bekommt auch die politische Lösungskompetenz

Dass in den letzten Jahren die Strategie der Krisenlösung vor allem in der Sozialisierung der Verluste und der Privatisierung der Gewinne bestand, ist vielen Menschen irgendwie klar – allerdings nicht unbedingt in Deutschland. Hier ist eine andere Erzählung dominant: Die deutschen SteuerzahlerInnen müssten für die griechische Misswirtschaft und Betrug den Kopf hinhalten und ihren Geldbeutel für den Eurorettungsschirm parat halten, obwohl man selbst sich nichts vorzuwerfen habe. Aber vor allem ist es in Deutschland zur fixen Idee geworden, die in vielen Eurostaaten explodierte Staatsverschuldung sei nicht Folge der Krise, sondern die Ursache der Eurokrise sei eine unsolide Finanzpolitik.

Diese Verdrehung geht auf die gesellschaftliche Definitionsmacht zurück, was eigentlich die Krise ausmacht. Diese Macht lag und liegt bei den bürgerlichen Kräften. Wer es schafft, die Probleme zu definieren, besitzt auch die Lösungskompetenz und muss sich im Anschluss nur selten über die Verteilung der Krisenlasten beschweren. Aktuell vollzog sich das in drei Akten. Continue reading “Das Making of Staatsschuldenkrise. Wer in der Krise die Definitionsmacht über das Problem hat, bekommt auch die politische Lösungskompetenz”

FAQ: ESM – keine Rettung vor Austerität

Anfang 2012 gründeten die 17 Eurostaaten den ESM (European Stability Mechanism), der ab Juli 2012 den bisherigen Eurorettungsschirm EFSF (European Financial Stability Facility) ablösen sollte. Letzterer war als eine temporäre Einrichtung angelegt. Der ESM soll nun einen dauerhaften Schutzwall für Stabilität bieten, der das Vertrauen der Finanzmärkte in die Eurostaaten wiederherstellt. Das bedeutet nichts anderes, als dass den AnlegerInnen gezeigt werden soll, dass ihr Vermögen und ihre Rendite garantiert sind. Wenn einzelne Staaten als zahlungsfähige Schuldner ausfallen, soll der Rettungsschirm einspringen. Gerettet werden also im Fall des Falles nicht die PortugiesInnen oder GriechInnen, sondern Banken und institutionelle AnlegerInnen. Continue reading “FAQ: ESM – keine Rettung vor Austerität”

Aufgeblättert: Keine Krise der Krisenliteratur

Seit Beginn der Krise ist viel geschrieben worden. Nach ersten Erklärungen und historischen Rekonstruktionen erscheinen inzwischen Bücher, die sich von den neueren Entwicklungen einen Begriff machen und nach den politischen und ökonomischen Konsequenzen fragen. Es gibt aber auch AutorInnen, die weiterhin (und zurecht) von einem Bedarf an tiefer gehender und allgemeinerer kapitalismuskritischer Analyse ausgehen. Fast zeitgleich sind zwei über 300 Seiten starke Bücher erschienen, die sich gleichermaßen auf Marx beziehen. Wolfgang Fritz Haug deutet die Krise als erste große Krise des transnationalen Hightech-Kapitalismus, die vergleichbar ist mit der Krise des Fordismus. Ernst Lohoff und Norbert Trenkle von der Krisisgruppe formulieren die kaum überraschende These, dass der Kapitalismus an seine grundlegenden Widersprüche geraten ist, da dem Kapital mit wachsenden Produktivkräften die Quelle des Profits, die Arbeit, abhandenkommt. Die Aufblähung des Finanzmarkts konnte hierbei nur temporär Abhilfe schaffen. Continue reading “Aufgeblättert: Keine Krise der Krisenliteratur”

Aufgeblättert: Katz und Maus

Günter Grass’ Novelle »Katz und Maus« erschien 1961. Sechs Jahre später kam Hansjürgen Pohlands Verfilmung in die Kinos, die besser als die literarische Vorlage ist – und provokativer. Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Franz-Josef Strauß wollte den Film verbieten: Dieser verunglimpfe die Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger und sei eine »sittlich verwerfliche Form der Darstellung hoher Tapferkeitssymbole«. Das Bundesinnenministerium verlangte Fördergelder zurück. Das Ritterkreuz war ein von Hitler gestifteter Orden. Seine Träger wurden während des Nationalsozialismus als Helden verehrt. Enno Stahl hat in seinem Büchlein die Geschichte des Films und die Auseinandersetzungen um ihn rekonstruiert. Hierfür hat er auch den Briefwechsel zwischen Grass, Schauspielern und Regisseur sowie Archivmaterial und die Presse gesichtet. Das Buch bietet einen Einblick in die Kulturproduktion im postfaschistischen Deutschland vor 1968. Eine DVD-Edition des Films ist in Vorbereitung. Was fehlt, ist eine Auseinandersetzung mit Sexualität und Männlichkeit. Spätestens seit Klaus Theweleit ist bekannt, dass es hierbei einen Zusammenhang zum NS-Faschismus gibt – auch in der kulturellen Verarbeitung nach 1945. In »Katz und Maus« trägt die Hauptfigur das Ritterkreuz aus Scham über seinen großen Adamsapfel, und die Protagonisten veranstalten eine Art Onanierolympiade, eine Szene, die Pohland erheblich kürzt.

Ingo Stützle

Enno Stahl: Für die Katz und wider die Maus. Pohlands Film nach Grass. Verbrecher Verlag, Berlin 2012. 128 Seiten, 14 EUR.

Erschienen in: ak – analyse & kritik. zeitung für linke debatte und praxis, Nr. 571 vom 20.4.2012

Demokratie als preiswerte Form der Herrschaft

In einer Analyse für bloomberg schreibt Ana Isabel de Palacio del Valle-Lersundi, die ehemalige spanische Außenministerin in der Regierung José María Aznar, zur spanischen Krise bzw. zum Nutzen der Demokratie als preiswerte Form der Herrschaft u.a.:

»Spain’s economic woes are triggering renewed fears over a potential default in the euro area, and much of the blame belongs to labor laws that date back to the dictatorship of General Francisco Franco. … Franco’s labor laws offered workers rock-solid job security and strong collective-bargaining rights. These were critical elements of welfare systems that were adopted by fascist — or national socialist — regimes around Europe, as they sought to maintain social harmony in the absence of democracy. Changing them has been a critical test of maturity for Spanish democracy since its establishment in 1977 …«

Ein Hoch auf die Demokratie!

Demokratie statt Fiskalpakt!

Frühjahr 2012. Merkel und Sarkozy eilen von Gipfel zu Gipfel, um den Euro zu retten. Der Boulevard hetzt gegen die Menschen in Griechenland. Der Kampf um die Krisenlösung spitzt sich dramatisch zu: Bis Anfang 2013 will ein autoritär-neoliberales Bündnis aus Kapitalverbänden, Finanzindustrie, EU-Kommission, deutscher Regierung und weiteren Exportländern den jüngst in Brüssel beschlossenen „Fiskalpakt“ im Schnellverfahren durch die Parlamente bringen.

Der Fiskalpakt verordnet eine sozialfeindliche Sparpolitik und umfasst Strafen gegen Länder, die sich dieser Politik widersetzen. Der Fiskalpakt schränkt damit demokratische Selbstbestimmung weiter ein. Er ist vorläufiger Höhepunkt einer autoritären Entwicklung in Europa.

Aufruf gegen eine unsoziale Europapolitik weiterlesen

Marx goes PowerPoint

Seit einigen Jahren klettert Marx aus der Mottenkiste. Soziale Verwerfungen im globalen Kapitalismus, die Schwächen herrschender Erklärungsansätze für wirtschaftliche Zusammenhänge und schließlich die seit den 1990er Jahren den Erdball erschütternden Krisen sorgen für eine erneute Beschäftigung mit Marx’ Gesellschaftsanalyse. Insbesondere eine jüngere, von ideologischen Grabenkämpfen unbeleckte Generation liest wieder das Kapital. An Universitäten, in Bildungseinrichtungen, bei  Gewerkschaften oder in Wohnzimmern wird die Kritik der politischen Ökonomie in kleinen Gruppen diskutiert.

PolyluxMarx möchte diesen Prozess unterstützen. Das Arbeitsmaterial ist eine Sammlung kommentierter PowerPoint-Folien, die auch auf der Webpräsenz einzelnen vorgestellt werden. Zentrale Argumentationsgänge des Kapital werden illustriert, einführende Texte und knappe Hinweise zu Methode und Didaktik erleichtern die Lektüre.

Valeria Bruschi, Antonella Muzzupappa, Sabine Nuss, Anne Steckner, Ingo Stützle
136 Seiten, inkl. CD
19,90 Euro
ISBN 978-3-320-02286-0
Karl Dietz Verlag Berlin

www.polyluxmarx.de