Kleine Geschichte der Euro-Rettung

Diesen September jährt sich die Insolvenz der Investment-Bank Lehman Brothers zum dritten Mal. Mit ihrer Pleite wurde die globale Finanz- und Wirtschaftskrise offensichtlich und auch für die deutsche Politik schwer zu leugnen. Bereits ein Jahr zuvor waren die Krisenzeichen kaum zu übersehen. 2007 waren die Sachsen LB und die IKB Deutsche Industriebank in ihrer Existenz bedroht. Im August 2007 kam das europäische Interbankengeschäft zeitweise fast vollständig zum Erliegen. In den USA erhielt die Investment-Bank Merrill Lynch staatliche Unterstützung und die britische Hypothekenbank Northern Rock konnte sich bei anderen Banken nicht mehr refinanzieren, es folgte ein „bank run“ – in wenigen Tagen hoben die KundInnen umgerechnet mehr als 4 Mrd. Euro ab.Seit Dezember 2007 stellten die US-Zentralbank FED und die Europäische Zentralbank (EZB) in Absprache Banken Liquidität zur Verfügung. Kurz zuvor waren europäische Richtlinien für das Krisenmanagement verabredet worden, ein Jahr darauf entwickelte die EZB neue Instrumente für ihre Geldpolitik und es wurden nationale Konjunkturprogramme aufgelegt. Der European Economic Recovery Plan (EERP) bündelt Gelder in Höhe von 200 Mrd. Euro. Die Europäische Kommission übernahm die Aufgabe, die europäische Krisenpolitik abzustimmen. Im Rahmen der G20 wurde die Politik koordiniert – die G8 war politisch degradiert.

Die pragmatische Phase der Krisenpolitik endete 2009. Danach forcierte vor allem Deutschland das Primat der Konsolidierung. Hilfskredite an Euro-Länder wurden nur mit Maßnahmen zur Konsolidierung und Überwachung der Staatsfinanzen zugelassen. Das betraf vor allem Griechenland: Zwei Wochen nach den Neuwahlen in Griechenland Anfang Oktober 2009 gab der neue Finanzminister unter der sozialdemokratischen Regierung bekannt, dass die Staatsverschuldung höher als bisher offiziell bekannt war. Die EU eröffnete sofort ein Defizitverfahren und verordnete Sparauflagen. Anfang 2010 wurde der griechische Haushalt unter EU-Kontrolle gestellt. Die Zinsaufschläge für griechische Staatsanleihen schossen in die Höhe und Rating-Agenturen stuften Griechenlands Bonität herab. Am 23. April beantragte Athen offiziell Finanzhilfe.

Am 25. März 2010 einigten sich die Euro-Länder auf einen Notfallplan für Griechenland. IWF und die Euro-Länder sollten einspringen, bekäme Griechenland auf den Finanzmärkten kein Geld mehr. Den IWF holte Deutschland ins Boot – gegen den Widerstand Frankreichs.

Anfang Mai wurde das erste Hilfspaket beschlossen (gefolgt von einem zweiten im Juli dieses Jahres). Zur Beruhigung des Bankensektors erkannte die EZB erstmals und als Ausnahme auch griechische Staatsanleihen als Sicherheit an, obwohl sie von Rating-Agenturen als Ramsch bewertet wurden. (vgl. ak 563) Das sollte Banken dazu bringen, griechische Anleihen nicht abzustoßen. Der US-Ökonom Barry Eichengreen warnte damals in einem Interview: „Die Griechen sind eure Lehman Brothers.“ (FAS, 2.5.10) Er ging davon aus, dass die faulen Staatsanleihen zu einem Zusammenbruch des Bankensystems führen könnten. Mai 2010 drängte der US-Finanzminister Timothy Geithner die europäischen Staaten zu Maßnahmen für eine rasche Lösung der Krise. Er befürchtete, dass die deutsche Blockadepolitik die Weltwirtschaft als Ganzes gefährden würde.

Drei Tage später, in der Nacht zum 10. Mai 2010, reagierte der Europäischen Rat: Es wurde der sogenannte Euro-Rettungsschirm gegründet, der aus drei Säulen besteht. Als neue Institution wurde die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) auf den Weg gebracht. Sie sollte zeitlich begrenzt bis Mitte 2013 Kredite bis zu 440 Mrd. Euro vergeben können. Deutschland bürgt für 129 Mrd. Euro. Zudem wurde der Europäische Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) ins Leben gerufen. Dieser umfasst 60 Mrd. Euro, die der EU-Haushalt stellt. Hinzukamen als dritte Säule 250 Mrd. Euro vom IWF. Zusammen umfasste der Stabilitätsmechanismus 750 Mrd. Euro. Darüber hinaus wurde der EZB historisch erstmals erlaubt, Staatsanleihen aufzukaufen. Um sie vom Markt zu nehmen und die horrenden Zinsen für Staatspapiere zu drücken. Eine Maßnahme, die der EZB laut Statut nicht erlaubt ist, in den USA und Japan jedoch gängige Praxis ist.

Unter dem Rettungsschirm haben bisher Irland (November 2010) und Portugal (Mai 2011) das Trockene gesucht. Kredite zu niedrigeren Zinsen werden aber wie bei den Griechenland-Hilfen nur gegen Sparauflagen vergeben.

Die Sparprogramme führten bei den betroffenen Ländern zu einer Rezession und ließen die Steuereinnahmen einbrechen, worauf die Rating-Agenturen die Bonität der Länder weiter herabstufte. Aufgrund der andauernden Turbulenzen beschloss der Europäische Rat Mitte Dezember 2010 die dauerhafte Einrichtung eines Stabilitätsmechanismus (ESM). Auf einem EU-Sondergipfel im Ende März 2011 wurde die konkrete Ausgestaltung diskutiert und vom Europäischer Rat beschlossen. Eine Neuerung ist, dass der ESM in „Ausnahmefällen“ Staatsanleihen aufkaufen soll.

Am 11. Juli 2011 beschlossen die 17 Euro-Länder auf dem EU-Gipfel den Vertrag über die Einrichtung des ESM. Dieser soll den Europäischen Stabilitätsmechanismus ablösen, der Juni 2013 ausläuft. Damit ist quasi ein Europäischer Währungsfond gegründet, den Wolfgang Schäuble bereits im März 2010 gefordert hatte. Eine Neuerung gegenüber März ist, dass dieser nun auch präventiv aktiv werden soll und Staatsanleihen vom Markt nehmen. Damit kann der ESM Länder „außerhalb“ des Rettungsschirms stützen und vor steigenden Zinsen schützen. Am 7. September urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass die Griechenlandhilfen und die Beteiligung am EFSF mit dem Grundgesetz vereinbart sind. Die Debatte über die politische Legitimität wird jedoch in Deutschland in aller Schärfe weiterführt.

Ingo Stützle

Erschienen in: ak – analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 564 v. 16.9.2011