III. Marx-Herbstschule – III. Band des Kapital | 29.-31.10.2010

Der sog. Finanzkapitalismus mag geschichtlich gesehen eine besondere Phase des Kapitalismus unserer Zeit sein. Gleichwohl ist er im Begriff des Kapitals enthalten, d.h. in der Funktions- und Wirkungsweise seiner Kategorien, insbesondere im Banken- und Kreditsystem, im Zins, im Aktienkapital und fiktivem Kapital. Und ausgerechnet Karl Marx, zu dessen Zeit der Kapitalismus angeblich ein (ganz) anderer gewesen sein soll, hat diese Dynamik bereits behandelt – im dritten Band des Kapitals.

Nachdem er im ersten Band die grundlegenden Kategorien der kapitalistischen Produktionsweise entwickelt und diese Produktionsweise im zweiten Band in ihre Zirkulationskreisläufe auseinandergelegt hat, betrachtet er im dritten Band den Gesamtprozess des Kapitals. Auch die Marx-Herbstschule ist mittlerweile beim dritten Band angelangt. Vom 29.-31.10.2010 sollen zentrale Passagen daraus gelesen werden. Aufgrund der aktuellen Krise liegt der Schwerpunkt dabei auf Textausschnitten zum Finanz-, Kredit- und Banksystem, zum Zins und zum fiktiven Kapital.

Das Rahmenprogramm der Herbstschule ist ganz auf den dritten Band und seine Aktualität ausgerichtet. Am Freitag gibt es eine Einführung von Ingo Stützle, am Samstagabend eine Podiumsveranstaltung im Festsaal Kreuzberg zur aktuellen Situation 2 Jahre nach Ausbruch der Krise, und am Sonntagvormittag wird dann Fritz Fiehler die internationale Diskussion zur Finanzkrise vorstellen.

Mehr Infos und Anmeldung unter http://marxherbstschule.net

Die EU ist weiterhin auf neoliberalem Kurs

Mit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise vor zwei Jahren prognostizierten viele KommentatorInnen ein Ende des Neoliberalismus. Bisher kann davon nicht die Rede sein. Im Gegenteil: Mit der Krise der griechischen Staatsfinanzen und der Verabschiedung des EU-Rettungspakets wurden viele südeuropäische Staaten mit Austeritätsprogrammen überzogen. Sie zeichnen sich nicht nur durch tiefe Einschnitte in den Sozialstaat aus, sondern auch durch eine “Flexibilisierung” des Arbeitsmarktes. Gleichzeitung wurde eine Verschärfung des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts (SWP) angestrengt. Bis Ende Oktober wird der zuständige EU-Wirtschafts- und Währungskommissar Olli Rehn einen entsprechenden Vorschlag vorlegen. Ende September wurden bereits die ersten Eckpunkte bekannt.

Continue reading “Die EU ist weiterhin auf neoliberalem Kurs”

Demokratie ins Museum?

Bei Maybrit Illner gab der Tunnelbauer Martin Herrenknecht bereits zu denken, dass Großprojekte in China einfacher als in Deutschland durchzusetzen seien. In dieser Frage sei Deutschland museumsreif. Nun bläst angesichts von Stuttgart 21 das organisierte Interesse des Kapitals in das gleiche Horn: Demokratie sei für den Profit nicht immer nützlich. Und da wir in einer auf Profit ausgerichteten Gesellschaft leben, muss man eben Abstriche machen – logische Schlussfolgerung für jeden engagierten Unternehmer. Auch Wolfgang Schäuble ist die Verfassung manchmal zu eng. Wie zitiert Marx den Gewerschafter Thomas J. Dunning so schön:

»Capital is said by this reviewer to fly turbulence and strife, and to be timid, which is very true; but this is very incompletely stating the question. Capital eschews no profit, or very small profit, just as Nature was formerly said to abhor a vacuum. With adequate profit, capital is very bold. A certain 10 per cent. will ensure its employment anywhere; 20 per cent. certain will produce eagerness; 50 per cent. positive audacity; 100 per cent. will make it ready to trample on all human laws; 300 per cent., and there is not a crime at which it will scruple nor a risk it will not run, even to the chance of its owner being hanged. If turbulence and strife will bring a profit, it will freely encourage both. Smuggling and the slave trade have amply proved all that is here stated …« (zitiert nach MEGA II.6, 1611)

Siehe auch: Entgleiste Herrschaft. Der Kampf um Stuttgart 21 am Scheideweg

Entgleiste Herrschaft. Der Kampf um Stuttgart 21 am Scheideweg

Über Jahre passierte scheinbar wenig. Seit dem offiziellen Baubeginn von Stuttgart 21 Anfang Februar überschlagen sich die Ereignisse. Nun steht der Widerstand gegen das Projekt an einem Scheideweg. In der Nacht zum 1. Oktober wurden die ersten Bäume gefällt. In den Stunden davor kam es zu heftigen Auseinandersetzungen. Durch Polizeigewalt wurden bis zu 400 DemonstrantInnen verletzt. Zwei Demonstranten drohen aufgrund des Einsatzes von Wasserwerfern dauerhaft zu erblinden. Der Konflikt um den neuen Bahnhof erweist sich als Machtfrage. Eine Machtfrage, die auch “von unten” beantwortet werden muss.

Continue reading “Entgleiste Herrschaft. Der Kampf um Stuttgart 21 am Scheideweg”

Aufgeblättert: Geld und Kapitalismus

bubble-economy
bubble-economy

Lucas Zeise ist Mitgründer der Financial Times Deutschland und dort bis heute ein origineller Kopf, der nicht so recht in die blassrosa Apologetik des Kapitalismus passt. Bereits zum Ausbruch der Krise veröffentlichte er bei Papyrossa ein lesenswertes Buch zum Ende der Party des Finanzmarktkapitalismus. (siehe ak 533) Leider reicht sein neues Buch nicht an die inzwischen in zweiter Auflage erschienene Krisenanalyse heran. Die knapp 200 Seiten lesen sich so, als hätte sich der Autor ins stille Kämmerchen zurückgezogen und sich mit kapitalismustheoretischen Grundlagen beschäftigt. Auf 50 Seiten versucht er, mit Marx dem Geld auf die Schliche zu kommen und verfehlt dessen wichtigsten Punkt: dass das Geld für eine warenproduzierende Gesellschaft notwendig ist, weil sich nur mit einem allgemeinen Äquivalent die Waren als Werte aufeinander beziehen lassen. Auch geht bei Zeise die Unterscheidung von Geld und Kapital verloren. Das zeigt sich in den Kapiteln zu Finanzprodukten, die eben keine Varianten des Geldes sind, sondern fiktives Kapital. Diesen Begriff nennt er zwar, macht ihn aber nicht für das Verständnis der “Verrücktheit” des Finanzkapitals fruchtbar. Für diejenigen, die schon immer wissen wollten, wie die Zentralbanken mit den Geschäftsbanken interagieren und was die Basel-Abkommen sollen, ist das knapp 30-seitige 6. Kapitel durchaus erhellend. Aber leider bleibt Zeise auch da schwach, wo er eigentlich stark ist: in der Ausleuchtung konkreter politischer und ökonomischer Widersprüche, die etwa die zweite Hälfte des Buches ausmachen. Seine vorangestellte These, die er am Schluss nochmals unterstreicht, dass der Neoliberalismus am Ende sei, kann er in keiner Weise unterfüttern. Immerhin deutet der Buchtitel an, was die LeserInnen erwartet – ein Versuch. Nur leider ist er misslungen.

Ingo Stützle

Lucas Zeise: Geld – der vertrackte Kern des Kapitalismus. Versuch über die politische Ökonomie des Finanzsektors. Papyrossa Verlag, Köln 2010. 192 Seiten, 12,90 EUR

Erschienen in: ak – zeitung für linke debatte und praxis, Nr. 554 v. 15.10.2010, Seite 35