Die RAF, Buback und unser aller liebster Rechtsstaat

—Aus gegebenem Anlass nochmals ein Kommentar, den ich vor über einem Jahr unter freitag.de publizierte (er wurde, soweit ich weiß, auch abgedruckt)—

Michael Buback äußert in einem Interview wenige Tage vor der Verhaftung von Verena Becker in der Sendung Kulturzeit bei 3Sat (21.8.09) die Hoffnung, dass es zu einem Prozess gegen sie kommt. Buback: »Und zwar zu einem Prozess bei dem tatsächlich eine Person vor Gericht steht die an den Anschlägen und dem Anschlag unmittelbar beteiligt war. Die merkwürdige Situation oder groteske Situation bislang war ja, dass Menschen angeklagt wurden, die eben nicht auf diesem Motorrad waren, zumindest muss ich mit höchster Wahrscheinlichkeit davon ausgehen.«

Der Sohn des damals ermordeten Generalbundesanwalts Siegfried Buback äußert schon länger das Bedürfnis, dass er gerne wissen würde, wer seinen Vater erschossen hat. Was Michael Buback nicht sagt und auch nicht besonders skandalös findet ist, dass drei Personen als Täter verurteilt wurden (Christian Klar, Knut Folkerts und Brigitte Mohnhaupt). Das ist zumindest auch irgendwie: grotesk. Continue reading “Die RAF, Buback und unser aller liebster Rechtsstaat”

Satellitenseminar: Blinder Fleck, oder was? Marx’ Beitrag zur Analyse von Geschlechterverhältnissen

Seit 2006 werden in der Rosa-Luxemburg-Stiftung Kapital-Lektürekurse angeboten. Um diese regelmäßigen Lesetreffen herum kreisen verschiedene Satellitenseminare zu ausgewählten Fragen und Diskussionssträngen auf dem Feld der Kritik der Politischen Ökonomie. Am 11. Oktober findet die nächste Abendveranstaltung statt. Thema: Marx’ Beitrag zur Analyse von Geschlechterverhältnissen.

Ausgehend von dem berühmten Satz, in dem Marx den „Grad der weiblichen Emanzipation“ als das „Maß der allgemeinen Emanzipation“ einer Gesellschaft bestimmt, hat es engagierte Debatten darüber gegeben, ob und wie sich mit Marx’schem Analyseinstrumentarium die Geschlechterverhältnisse im Kapitalismus kritisch reflektieren lassen. Der Vorwurf, die Marx’sche Theorie sei bestenfalls geschlechtsblind, weil sie die Sphäre der Reproduktionstätigkeiten und andere Mechanismen der Herstellung der Geschlechterverhältnisse unterbelichte, steht die Sichtweise gegenüber, dass es für das Funktionieren des Kapitalismus letztlich bedeutungslos sei, welches Geschlecht die Ware Arbeitskraft hat, wie sie rassifiziert ist, ob sie jung ist oder alt. Kann also Marx für feministische Debatten und eine Kritik verwobener Herrschaftsverhältnisse fruchtbar gemacht werden, und wenn ja, wie? Funktioniert das auch in die andere Richtung? Und welche Geschichte haben Versuche, Marxismus und Feminismus zu verbinden oder aneinander zu entwickeln?

Satelliten sind offen für alle Interessierten. Vorkenntnisse des marxschen Kapital sind hilfreich.

Termin: 11. Oktober 2010, 19.30 Uhr | Ort: Rosa-Luxemburg-Stiftung, Franz-Mehring-Platz 1, Berlin (Seminarraum 2) | Anmeldung bei Valeria Bruschi und Antonella Muzzupappa: valeanto -ät- das-kapital-lesen.de

Banken? Blockieren! … und darüber reflektieren

Am 18. Oktober 2010 soll massenhaft, entschieden und in vielfältigen Aktionen ein Knotenpunkt der Finanzwelt in Frankfurt am Main blockiert werden. Die Aktionsgruppe Georg Büchner ruft zu einer Aktion zivilen Ungehorsams auf. Es sei nicht hinzunehmen, dass die Kosten der Weltwirtschaftskrise vor allem von den sozial Schwachen getragen werden sollen. So sehe es das “Sparpaket” von Schwarz-Gelben vor. Der Protest müsse deshalb dorthin getragen werden, wo er hingehört: ins Herz der Finanzmetropole. Über die geplante Blockade sprach ich für ak mit der Sprecherin des Aktionsbündnisses Karin Maler. Thomas Sablowski setzt sich in der selben Ausgabe mit zwei falsche Auffassungen über Banken und zwei Formen verkürzter Kapitalismuskritik auseinander (Siehe auch meinen Beitrag von 07.09).

Die Ambivalenz des Rechts. Der Völkerrechtler Andreas Fischer-Lescano über den deutschen Krieg in Afghanistan

Mit der Veröffentlichung von US-Dokumenten auf der Internetplattform Wikileaks wurde im Juli die Diskussion um die Beteiligung der Bundeswehr an gezielten Tötungen in Afghanistan hochgespült. Erst hieß es aus dem Verteidigungsministerium, deutsche SoldatInnen wären in Afghanistan “nur” an Festnahmen außerhalb von Kampfhandlungen beteiligt, in dem sie Listen mit Namen abarbeiten. Dann gaben einzelne Militärs zu, dass das Kommando Spezialkräfte (KSK) eigene Tötungskommandos durchführt. Ein Gespräch mit dem Völkerrechtler Andreas Fischer-Lescano über die deutsche Kriegsbeteiligung in Afghanistan, die umkämpfte Schutzfunktion des Völkerrechts und die Gründe, warum auch die deutsche Regierung mittlerweile vom Krieg in Afghanistan spricht.

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Unzufrieden mit dem Unveränderlichen. Ein Nachruf auf Thomas Marxhausen (1947–2010)

Noch im Mai diesen Jahres referierte Thomas Marxhausen auf einem Begleitseminar zu den RLS-Kapitallesekursen »Dem Wert auf der Spur» zum Thema «Den Stachel ziehen? Konflikte um die Edition der Manuskripte von Marx und Engels«. Dank Thomas bin ich an ein paar MEGA-Bände gekommen – eine ehemalige Kollegin von ihm wollte Platz im Regal schaffen. Auch habe ich ihm einen kritischen Einblick in die MEGA-Edition zu verdanken. Einen Beitrag zur neuen Kapital-Lektüre in der DDR für Das Kapital neu lesen wollte er schließlich leider doch nicht schreiben. Noch vor seiner Absage schrieb er mir:

wenn interesse bei euch, mache ich einen abriss, was wurde wie seit mitte der 1970er jahre diskutiert, das kann ich machen, dieses material habe ich ready, weil ich beteiligt war wie auch im Rat für M-E-Forschung am IML beim ZK der SED (also ein Täter — wollt ihr einen Täter??? überlegt’s euch gut!).

Thomas war sehr selbstkritisch – ja selbstzerstörerisch selbstkritisch.

Vor zwei Wochen erreichte mich die traurige Nachricht, dass Thomas am 6. September 2010 in Halle im Alter von 63 Jahren viel zu früh aus dem Leben schied. Einen Nachruf von Rolf Hecker und eine Kurzbiographie haben ich zusammen mit einer Auswahlbiographie auf die website von »Das Kapital lesen« gestellt. Einge Texte sind als pdf verfügbar. Nach und nach werde ich weitere Texte einpflegen.

Noch nicht einmal demokratischer Schein. Ein Interview mit Astrid Rund über die Aufhebung des Atomausstiegs

Ende August wurde in fast allen Tageszeitungen ein “Energiepolitischer Appell” veröffentlicht. Diesen nahm das Institut Solidarische Moderne (ISM) zum Anlass, den Aufruf “Demokratischer Rechtsstaat oder Atomstaat” zu initiieren. Über Intention des Aufrufs sprach ich für ak mit Astrid Rund, Erstunterzeichnerin des Aufrufs und Kuratoriumsmitglied des ISM.

ak: Der Aufruf des ISM zum Konflikt um die Laufzeitverlängerung trägt ganz schön dick auf: “Es geht um nicht weniger als das politische Gestaltungsmandat der Verfassungsorgane und damit um den Bestand des demokratischen Rechtsstaates selbst.” Warum geht es um nicht weniger?

Astrid Rund: Bei der Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken wird ganz offensichtlich und unverhohlen dem Interesse und der Lobbypolitik der großen Energiekonzerne entsprochen. Entgegen dem Willen der Mehrheit der Bevölkerung soll der Atomausstieg gekippt werden. Die Bundesregierung will den sogenannten Ausstiegskonsens einseitig nicht einhalten, obwohl die Atomkonzerne durch den Verzicht des Staates auf monetäre Leistungen – wie steuerfreie Rückstellungen, Verzicht auf die Brennelementesteuer, Versicherung – schon mindestens 50 Mrd. Euro kassiert haben.

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Piraten im Ausnahmezustand. Daniel Heller-Roazen untersucht die Geschichte einer Rechtsfigur

Der Begriff “Ausnahmezustand” hat seit Jahren Konjunktur. Der Literaturwissenschaftler Daniel Heller-Roazen beschäftigt sich in seiner Studie mit einer dazugehörenden Rechtsfigur, dem Pirat. Die bis in die Antike zurückgehende Untersuchung folgt der historischen Entstehung der Figur “Pirat”, dem politischen und sozialen Wandel und seinem Verschwinden. Dass der Pirat plötzlich wieder auf der politischen Bühne erscheint, ist für Heller-Roazen ein Anzeichen dafür, dass sich die Formen der politischen Konfrontationen verändert haben, und ein Alarmzeichen zugleich. Continue reading “Piraten im Ausnahmezustand. Daniel Heller-Roazen untersucht die Geschichte einer Rechtsfigur”

Aufgeblättert: Marktversagen

Das Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung e.V. (ISW) veröffentlicht seit Jahren kritische Studien zur kapitalistischen Wirklichkeit. Die gegenwärtige Krise bot Material für mehr als nur eine Studie. Die neueste Publikation widmet sich der Software neoliberaler Ideologie und der zentralen Institution des Kapitalismus – dem Markt. Er gilt als die schützenswerteste Einrichtung nach dem Privateigentum, der immer für einen effizienten Einsatz von “Produktionsfaktoren” sorgt. Der Autor, Franz Garnreiter, hat sich zur Aufgabe gemacht, den Mythos Markt auseinanderzunehmen. Dafür beschäftigt er sich mit der Grundlage der Wirtschaftstheorie – der Grenznutzentheorie -, konfrontiert deren Versprechen mit der Wirklichkeit und stellt den stabilisierenden Effekt der Markt-Ideologie für die kapitalistische Herrschaft und deren destruktives Potenzial für Mensch und Natur heraus. Die Broschüre räumt auf mit vielen irrsinnigen Grundannahmen neoklassischer Wirtschaftstheorie und deren Konzeption von “Markt”. Garnreiter zeigt den intellektuellen Beitrag der Wirtschaftswissenschaften zur Krise und zur Alltagsvorstellung über die “soziale Marktwirtschaft”. Was in der Studie zu kurz kommt, ist eine Kritik der politischen Ökonomie im Sinne von Marx. Der verstand darunter keine moralische Kritik und auch nicht die Benennung des Widerspruchs von theoretischer Konzeption und Wirklichkeit. Vielmehr wollte er zeigen, dass die bürgerlichen Ideale von Gleichheit und Freiheit die Form sind, in der sich unter kapitalistischen Verhältnissen Herrschaft, Ausbeutung und Ungleichheit reproduzieren.

Ingo Stützle

Franz Garnreiter: Der Markt. Theorie – Ideologie – Wirklichkeit. Eine Kritik der herrschenden Wirtschaftsideologie. ISW Forschungsheft 4, München 2010. 46 Seiten, 4 EUR.

Was uns der Protest gegen Stuttgart 21 über neue Formen des Politischen sagt

Die neue Ausgabe von ak – analyse & kritik ist erschienen (Inhalt). Unter anderem ist wieder Stuttgart 21 Thema. Denn: Das Ländle ist im Aufruhr. Der Abriss eines alten, nicht sehr schönen Bahnhofs ruft die massivste Protestbewegung hervor, die es in den letzten Jahrzehnten in Stuttgart gegeben hat. Der Kulturwissenschaftler Klaus Schönberger vertritt die These, dass sich in diesen Protesten eine neue Form des Politischen zeigt: An die Stelle der Protest-Bewegung tritt das Protest-Projekt. Ich fragte Klaus Schönberger was das für linke Politikformen bedeutet.

Haushaltsdebattensprech: Generationengerechtigkeit

Derzeit wird im Bundestag der Staatshaushalt 2011 diskutiert. Einer der meist verwendeten Wörter ist Generationengerechtigkeit. Verschuldet sich der Staat zu Lasten zukünftiger Generationen? Bis in die Grünen hinein hat sich inzwischen die Mär festgesetzt, Verschuldung finde auf Kosten zukünftiger Generationen statt. Schließlich müssten diese den Schuldenberg abtragen und die Zinslast schultern. Das ist blanker Nonsens. Continue reading “Haushaltsdebattensprech: Generationengerechtigkeit”

Eine Herde schwarzer Schafe. Ein neues Buch über die Krise bringt die bürgerliche Kritik an Politik und Banken auf den Punkt

Foto: CC-Lizenz, Ilja Klutman

Der Zusammenbruch von Lehman Brothers Bank markiert symbolisch den Ausbruch der Finanzkrise vor zwei Jahren. Über die Gründe, die schließlich zu einer Weltwirtschaftskrise führten, wird nach wie vor gestritten. Für die Bourgeoisie waren die Ursachen schnell genannt: falsche Anreize, Gier und Staatsversagen. Der Wirtschaftsjournalist Leo Müller ist diesen Gründen en détail nachgegangen. In seinem Meisterstück bürgerlicher Kritik bringt er viel Erhellendes zu Tage und bleibt doch dem bourgeoisen Horizont verhaftet. Continue reading “Eine Herde schwarzer Schafe. Ein neues Buch über die Krise bringt die bürgerliche Kritik an Politik und Banken auf den Punkt”

Mal wieder Griechenland

Heute hat Griechenland das erste Mal seit Monaten wieder Staatsanleihen platzieren können. Auch wenn die Emission 4,5-fach überzeichnet war, lag der Zins bei 4,82 Prozent. Gleichzeitig erhielt Athen die zweite Tranche an EU- und IWF-Geldern – zusammen 9 Mrd. Euro.

Erinnert sich noch wer an die rassistische Hetze vor ein paar Monaten? Deutschland müsse für die faulen Griechen bezahlen etc. pp.. Wie sieht es nun wirklich aus?

Der Zins den die EU-Staaten auf Drängen Deutschland von Griechenland verlangen liegt bei fünf Prozent. Also knapp über (!) den Zinsen, die das Land derzeit auf den Finanzmärkten zahlen muss.

Die Rendite von zehnjährigen Bundesanleihe liegt derzeit unter 2,5 Prozent. Also der Hälfte. Das zu diesem Zins mobilisierte Geld leiht Deutschland zum doppelten Zinssatz weiter. Also nochmal: Wer bezahlt hier eigentlich für wen?

Die Dagegen-Republik

Der letzte Spiegel hatte mal wieder ein tolles Titelthema (»Die Dagegen-Republik – Bürgeraufstand gegen die Politik«) und bringt das herrschende Demokratieverständnis auf den Punkt. Ein Satz gegen Ende könnte bei Johannes Agnoli abgeschrieben sein oder zumindest eine Referenz hergeben – nur eben irgendwie anders gemeint:

»Aber einer Bevölkerung muss immer mal wieder etwas zugemutet werden, sonst kann ein Land sich nicht entwickeln. Solche Zumutungen kann nur die Berufspolitik verordnen. Aber wenn der Protest zu stark wird, schafft sie das nicht. Deutschland würde zum Land der Bewohner, Stillstand wäre die Folge. Die beste Gesellschaft ist die, die Politiker und Bürger miteinander verzahnt. Bürgerliche Emotionalität muss durch politische Abgeklärtheit aufgefangen werden, Mittelschichtseinfluss durch Repräsentation der ärmeren Schichten, Konfrontationswille durch Konsenssuche – und umgekehrt. Die Politik braucht den Protest als Mahnung, damit sie besser arbeitet. Wie so oft ist es eine Frage des Maßes.« (35/2010, S. 72)