Generationengerechtigkeit?

Auch in der aktuellen jungle world ist das Wochenthema der Sparhammer von Schwarz-Gelb. Unter dem Titel »Luxus für keinen, Ohnmacht für alle. Zur Semantik des deutschen Gerechtigkeitsideals« widmet sich Magnus Klaue einem meiner Lieblingsthemen. Vor lauter ideologiekritischer Kraftmeierei vergisst er aber etwas ganz banales, nämlich mal zu erklären, warum das Gerede von der Generationengerechtigkeit – sei es deutsch oder nicht – Blödsinn ist. Das hole ich jetzt in zwei Absätzen – geklaut aus einem kleinen Krisen-FAQ – kurz nach. Ideologiekritik ist nämlich leider nicht schon die halbe Miete.

Verschuldet sich der Staat zu Lasten zukünftiger Generationen? Bis in die Grünen hinein hat sich inzwischen die Mär festgesetzt, Verschuldung finde auf Kosten zukünftiger Generationen statt. Schließlich müssten diese den Schuldenberg abtragen und die Zinslast schultern. Das ist blanker Nonsens. Es findet keine Umverteilung zwischen, sondern innerhalb der Generationen statt. Und zwar – wer hätte es geahnt – eine von unten nach oben. Denn: Die in der Zukunft anfallenden Zins- und Tilgungszahlungen werden ja an irgendjemand ausgeschüttet. Das bedeutet, nicht nur die Verpflichtungen, sondern auch die Ansprüche werden »vererbt«. Es ist deshalb viel relevanter zu analysieren, wer aufgrund von Besitz von Staatsschuldtiteln Zinsen kassiert und wer in Form von Steuern die Zinszahlungen des Staates finanziert.

2008 warf allein die deutsche Staatsschuld 69 Mrd. Euro Zinsen ab. Die Schuldpapiere befinden sich überwiegend im Besitz von Banken, institutionellen Anlegern und Vermögenden, die über genug Einkommen verfügen, um sparen zu können. Die Steuern hingegen werden – dank der Steuerreformen der letzten zehn Jahre – zu ungefähr zwei Dritteln von den Lohnabhängigen finanziert, d.h. von denen, die mit Erspartem vielleicht in den Urlaub fahren, nicht aber in staatliche Wertpapiere »investieren« können. Das bedeutet: Es findet keine Umverteilung zwischen den Generationen statt (die Summe der Forderungen und Verpflichtungen gleichen sich nämlich aus), sondern ein Vermögenstransfer von denjenigen, die aufgrund ihrer Steuern die Zins- und Tilgungszahlungen finanzieren, hin zu jenen, die jährlich als Besitzer von Staatspapieren Milliarden Euro kassieren.

Pathologische Kampflosigkeit. Ein neues Buch über die sich polarisierende deutsche Klassengesellschaft

Sigmund Freud und seine rote Couch wären der deutschen Arbeiterklasse durchaus hilfreich

Die taz-Journalistin Ulrike Herrmann hat ein Buch über den Selbstbetrug der Mittelschicht geschrieben. Genauer: Sie porträtiert die deutsche Klassengesellschaft, zeigt, wie sich die Elite hierzulande reproduziert, und analysiert die Steuern als Umverteilungsmaschine von unten nach oben. Eine wichtige Korrektur des Mainstreams in Zeiten der Krise, wenn auch die politische Bewertung der deutschen Zustände etwas kritischer ausfallen müsste.

Die Deutschen haben eine verwirrte Selbstwahrnehmung. Reiche fühlen sich ärmer, Arme oft reicher – und die Mittelschicht wähnt sich der Elite ganz nah. Für Herrmann ein Grund, sich Statistiken genauer anzuschauen; dabei stellt sie fest, dass viele Statistiken nichts taugen, weil der Zugriff auf Vermögensverhältnisse oft schwierig ist und in manchen Erhebungen Einkommen ab einer gewissen Höhe erst gar nicht berücksichtigt werden. Im Verlauf des Buchs wird deutlich, dass sich dahinter eine Form der Umverteilungspolitik verbirgt. Datenerhebung ist immer auch Kontrolle. Kontrolliert werden sollen aber die Tagediebe und nicht die dicken Brieftaschen. Continue reading “Pathologische Kampflosigkeit. Ein neues Buch über die sich polarisierende deutsche Klassengesellschaft”

Neue DIW-Studie zu Einkommensentwicklung

Wäre hätte es gedacht!? Arm und Reich driften in Deutschland immer weiter auseinander. Das ist das zentrale Ergebnis einer neuen Studie des DIW. Aber nicht allein das Schrumpfen der Mittelschichtt wird beklagt. Zudem steigt die Zahl der Niedriglöhner, die gleichzeitig immer weniger verdienen.

Politisch von Interesse ist die Aussgae zu den Mittelschichten. Martin Gornig,  ein Autor der Studie:

»Eine Entwicklung wie die hier beobachtete kann unter Umständen Verunsicherungen in diesen Schichten auslösen.«

Problematisch sei die Verunsicherung vor allem dann, wenn andere Bevölkerungsgruppen für den drohenden Statusverlust verantwortlich gemacht würden. Leider spart die DIW-Studie diesen Aspekt nahezu aus. Es wird nur auf die neue Heitmeyer-Studie verwiesen und Ausländerfeindlichkeit und Fremdenhass als Erklärung in Klammer gesetzt. Klar scheint also, dass nicht die Vermögenden als Grund erhalten müssen, dass viele Menschen zunehmend verarmen. Eine ähnliche Leerstelle hat das eigentlich gute Buch »Hurra, wir dürfen zahlen: Der Selbstbetrug der Mittelschicht« von Ulrike Herrmann (dazu hier mehr).

Für die KritikerInnen der Gentrifizierung könnte zudem interessant sein, dass der Bericht unterstreicht, dass mit der Verarmung zunehemnd die Gefahr wächst, dass Armenviertel entstehen. Dass dieser Aspekt in der Studie hervorgehoben wird liegt sicher auch daran, dass Hartmut Häußermann mit von der Partie war.

Auch interessant ist, dass der Server des DIW aufgrund der vielen Zugriffe heute Vormittag in die Knie ging. Wir dürfen gespannt sein, ob ebenso viel Energie darauf verwendet wird, die zunehmend unerträglicheren Zustände zu beseitigen.

Foto: CC-Lizenz, redhope

Linksreformistisches

An allen Ecken und Enden tut sich was – zumindest auf dem Papier. Nach der Gründung des Instituts für Solidarische Moderne (Streitgespräch zum ISM im ak), der Diskussion im freitag um ein »Projekt Linke Mitte« (hier mein Beitrag in der Reihe) wurde ein weiteres »Diskursprojekt« gestartet: Linksreformismus. Ressonanzboden sind einige linke Zeitungen und Zeitschrift, die mit den drei Stiftungen von SPD, Grüne und DIE LINKE kooperieren. Für Februar 2011 ist eine Tagung in Planung und die Vorbereitungen laufen bereits (Call for Papers).

Tom Strohschneider hatte das Projekt in einem blog als Suche nach dem »Mobiliar für offene Räume« bezeichnet. Darauf beziehen sich die InitiatorInnen ebenso positiv wie auf einige Klassiker des Linksreformismus: Eduard Bernstein, aber auch John M. Keynes. Wer fehlt ist Rosa Luxemburg und das, obwohl die nach ihr benannte Stiftung die ganze Veranstaltung mitträgt. Wundert das? Wohl kaum. Schließlich war eine heftige Kritikerin des Reformismus. Sollte man sie in einem solchen »Diskursprojekt« deshalb aussperren? Nein, schließlich steht das Mobiliar für offene Räume ja irgendwo und bevor diese Räume vor Träumen zusammenbrechen, sollte auch eine Statik helfen, die Grenzen und Möglichkeiten eines Linksreformismus zu benennen. Und hierzu hat Luxemburg sehr wohl etwas zu sagen. Bei der Frage, ob Keynes als Alternative taugt, hatte ich mich bereits in der Prokla versucht.

Bleibt zu hoffen, dass die Räume ausgemessen werden, bevor sie von der Initiative für einen Linksreformismus so vollgestellt werden, dass einem der Blick für grundlegende Alternativen und radikale Kritik genommen wird.

To be or not to be a Keynesian – ist das die Frage? Kritik und Grenzen wirtschaftspolitischer Alternativen – web

Meinen in der Prokla erschienenen Artikel zu Keynes habe ich nun nicht nur als pdf ins Netz gestellt, sondern auch derart, dass man sich mit der Maus die Hand wund scollen kann:

To be or not to be a Keynesian – ist das die Frage? Kritik und Grenzen wirtschaftspolitischer Alternativen, in: Prokla 157 (Der blutige Ernst: Krise und Politik), 39.Jg., H.4, 607-623.

Die institutionelle Strategie des Gregor Gysi

»Für die Besserverdienenden den Schongang, für die Arbeitslosen und Familien den Schleudergang«, so SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel

Die heute angekündigte Streichorgie ist durchaus Anlass für Unmut. Das hat heute auch der offizielle Vertreter der deutschen Arbeiterbewegung – DGB-Chef Michael Sommer – gepflegt zum Ausdruck gebracht:

»Niemand sollte unseren Zorn über die soziale Schieflage dieser Politik und unsere Entschlossenheit, diesen Weg zu korrigieren, untershätzen.«

Der Vorsitzende der Linkspartei, Greogor Gysi veröffentlichte eine Pressemitteilung unter dem Titel: »Schwarz-gelbe Sparorgie ist Anschlag auf sozialen Frieden und Demokratie«

Während ich den zweiten Teil noch gut verstehe, kam ich mit dem ersten Teil nicht ganz klar. Angriff auf den sozialen Frieden? Soll sich eine sozialistische Partei positiv auf den sozialen Frieden beziehen? Etwas aufgelöst wühle ich in meinen Studiumsunterlagen und finde in einem Hauptwerk von Johannes Agnoli, dem Namensgeber des Instituts, an dem ich studierte, folgende Passage: Continue reading “Die institutionelle Strategie des Gregor Gysi”

Interview mit Marc Thörner zu Afghanistan

Im letzten ak habe ich Thörners Buch Afghanistan-Code besprochen. Vor ein paar Tagen ist in der jungen welt ein Interview mit ihm erschienen. Wer eher mit dem mp3-Player unterwegs ist und eh schon zu viel lesen muss, kann nun ein fast 40-minütiges Interview mit Thörner anhören – geführt von Radio Unerhört aus Marburg.

fast 40-minütiges Interview

In jedem Fall möchte ich mich hier nochmals Raul Zelik anschließen:

Thörners “Afghanistan-Code” sollte Pflichtlektüre für alle sein, die dem Militäreinsatz jemals etwas abgewinnen konnten.

Geschichten und die Geschichte der Spekulation

Warum nicht mal wieder eine kurze Geschichte der Spekulation lesen, dachte ich mir. Schließlich ist John K. Galbraiths Buch zum Crash von 1929 durchaus erhellend (erstmals 1954 erschienen). Als das Buch »Eine kurze Geschichte der Spekulation« 1990 auf Englisch erschien, war Galbraith bereits 82 Jahre alt. Er starb 2006. Die gegenwärtige Krise erlebte er  somit nicht mehr. Dennoch hat er sie in seiner kurzen Geschichte bereits vorausgesagt. Zumindest wenn man gelten lässt, dass Galbraith das Buch mit mit Hinweis abschließt,  dass die nächste Spekulationsblase kommen wird – er wisse nur nicht wie, wann und wo.

Galbraith beschreibt die wiederkehrenden Muster bei Spekulationsblasen und die aufgeschreckte Verwunderung danach anschaulich und mit bissigem Humor. Es ist trollig zu lesen, wie sich die Diskussionen über Re-Regulierung nach dem bösen erwachen ähneln.

Leider fehlt jegliche Erklärung dessen, was sich da abspielt – nicht einmal ein Minsky wird bemüht (hierzu lesenswert Riccardo Bellofiore). Galbraith verweist nur auf die Dummheit und die Vergesslichkeit der Menschen. Sehr tiefgründig ist das nicht. Auch wäre schön gewesen, bei all der Ähnlichkeiten, die Unterschiede beleuchtet zu sehen. Okay, es ist ja »Eine kurze Geschichte der Spekulation«. Und: Zumindest entreist Galbraith die eine oder andere Blase der Vergessenheit . Aber vielleicht lese ich doch lieber mal wieder ein Roman zum Thema. Ein anderes Buch liefert hierzu viele nützliche Hinweise.

Foto: CC-Lizenz, ecstaticist

HAITIAN FIGHT SONG. Haiti zwischen Revolution und Imperialismus

Das Erdbeben vor der Küste von Port-au-Prince war eine Naturkatastrophe, seine Folgen sind eine soziale. Damit ist Haiti schlagartig ins Licht der Weltöffentlichkeit gerückt. Wieder einmal — denn die Republik war in den letzten zweihundert Jahren stets ein Objekt, bisweilen das »Lieblingsobjekt«, des westlichen Imperialismus. Es scheint, als müsse Haiti dafür büßen, dass seine Bewohner einst ganz dreist sich als Subjekte ihrer eigenen Geschichte begriffen: 1791 gipfelte die Rebellion der schwarzen Sklaven unter Toussaint L’Ouverture in eine Revolution — ein Ereignis, das in seinem Freiheitswillen und seiner Autonomie den Horizont der französischen Revolution noch überschritt.

In einer Collage aus Bildern, Klängen und Texten vergegenwärtigen wir den Schock und das Emanzipationsversprechen dieser radikal-jakobinischen Revolution, die neo-kolonialistischen Reaktionen darauf, die seit zweihundert Jahren Land und Leute drangsalieren, wie die fortdauernden Revolten und Aufstandsbewegungen gegen diese Zerstörungen.

Texte, Musik, Filme — zusammengestellt und präsentiert von
Christian Frings, Felix Klopotek, Malte Meyer und Peter Scheiffele

Freitag, 4. Juni 2010, 22:00 Uhr
Ballhaus Naunynstrasse
Naunynstr. 27, 10997 Berlin

Empfohlene Mindestspende: 6,- €, es wird für die Haiti-Arbeit von Medico International gesammelt.