Der Gipfel von Schuldenbergen: Zu Grenzen der Staatsverschuldung

Bankenrettung, Konjunkturprogramme und einbrechende Steuereinnahmen haben in vielen Staaten immense Staatsdefizite zur Folge. Wo sind die Grenzen der Staatsverschuldung, und wo fängt die neoliberale Ideologieproduktion an?

Wo ein Finanzierungsloch ist, findet sich auch ein Schuldenberg

In den Medien werden uns vor allem zwei Zahlen um die Ohren gehauen: der Schuldenstand und die Neuverschuldungsquote. Ausgedrückt werden sie in Prozenten, bezogen auf das Bruttoinlandprodukt (BIP). Die USA haben einen Schuldenstand von über 80% des BIP, Japan hingegen von fast 190%. Der Schnitt in der Euro-Zone liegt bei 78%, in Italien und Griechenland bei über 115% (2009); nach den Konvergenzkriterien der Verträge von Maastricht sind maximal 60% erlaubt. Die Neuverschuldungsquote zeigt an, wie hoch die Kredite im laufenden Jahr im Verhältnis zum BIP ausgefallen sind. Hier sehen die Maastrichter Kriterien eine Quote von nicht mehr als drei Prozent vor. Spanien, Irland und Griechenland liegen bei über 10% – aber auch Großbritannien.

Beide Kennzahlen, Schuldenstand und Neuverschuldungsquote, sagen zunächst nicht besonders viel aus. Die Konvergenzkriterien waren der europäische Durchschnittswert bei Verabschiedung der Verträge 1992. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass trotz aller Hysterie die Frage, ob es eine absolute Grenze der Staatsverschuldung gibt, einhellig verneint wird. Das gestehen sogar neoklassische Ökonomen ein. Continue reading “Der Gipfel von Schuldenbergen: Zu Grenzen der Staatsverschuldung”

Aufgeblättert: Aufstandsbekämpfung in Afghanistan

Marc Thörners lesenswertes Buch ist nicht nur ein notwendiges Korrektiv zur herrschenden Erzählung von Politik und Medien über Afghanistan. Seine engagiert recherierte Reportage hilft auch, die täglichen Nachrichten zu sortieren und zu bewerten. Deutlich wird, dass die Aufstandsbekämpfung u.a. der Logik früherer Kriege in französischen Kolonien folgt. Zunächst wird der Feind bekämpft und verjagt (clear). Danach wird das eroberte Gebiet mit Hilfe Einheimischer unter Kontrolle gebracht (hold). Hierbei stützen sich die ISAF-Truppen auf Warlords, die ihre ganz eigene Agenda verfolgen und teilweise zur ehemaligen Nordallianz gehören. Diese hatte 2001 mit massiver Luftunterstützung Afghanistan zurückerobert. Schließlich sollen Aufbauarbeiten die Bevölkerung gewinnen und die Situation stabilisieren (build). Thörner zeigt, dass diese Strategie nicht nur eine eigenständige Entwicklung Afghanistans verhindert, sondern die kriegerischen Zustände hervorbringt und zementiert. Die Bundeswehr nimmt dabei eine zentrale Rolle ein, da sie mit einem der größten Warlords kooperiert: Mohammed Atta, dem Gouverneur der Provinz Balkh, in deren Hauptstadt Mazar-e-Sharif die Bundeswehr ihr größtes Feldlager in Afghanistan unterhält. Die von Deutschland unterstützte Ausbildung von Polizeikräften stellt somit keine Normalisierung dar, sondern eine kriegerische Eskalation. Die militärische Präsenz in Afghanistan folgt einer Logik, in der die Bombardierung der Tanklaster bei Kundus nur ein trauriger Höhepunkt war.

Ingo Stützle

Marc Thörner: Afghanistan-Code. Reportagen über Krieg, Fundamentalismus und Demokratie. Edition Nautilus, Hamburg 2010, 160 Seiten, 16 EUR

Erschienen in: ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 550 vom 21.5.2010