Die wollen nur spielen. Zur Aktualität von Partei- und Parlamentarismuskritik

Ende Januar 2010 gründete sich das Institut Solidarische Moderne (ISM), das für viele eine Provokation darstellt. Für rechts stellt die Initiative die Vorbereitung eines rot-rot-grünen Regierungsprojekts dar. Für links die Wiederbelebung der illusionären Möglichkeit linker Parteipolitik. Aber der Fokus auf Parteien ist Teilen des ISM selbst nicht geheuer: “Der Linken, wenn sie an die Regierung kam, und das nicht nur in Deutschland, ist es nur selten gelungen, wirklich emanzipatorische Politik zu machen”, so Sven Giegold in der jungle world (25.2.10). Allerdings kommt er nicht auf die Idee, dass dies an der Parteiform und der Funktionsweise des Parlaments selbst liegen könnte.

Immer schön aufmerksam bleiben!

Historisch hat “Partei” nicht den eingeschränkten Sinn einer auf Wahlen und das Parlament ausgerichteten Organisation. Im 1848 von Karl Marx geschriebenen “Manifest der Kommunistischen Partei” heißt es, die Kommunisten seien “keine besondere Partei gegenüber den andern Arbeiterparteien”. Die Partei vertrete das “Interesse der Gesamtbewegung”. Partei war ein Synonym für politische Organisierung überhaupt.

Der Parlamentarismus bildete sich erst mit der Entstehung des bürgerlichen Staates und der Auflösung personeller Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse heraus. Dieser Prozess verlief parallel zur Entstehung bürgerlicher Öffentlichkeit. Nicht mehr der liebe Gott war nun verantwortlich für die Einrichtung der Gesellschaft, sondern die Bürger selbst – oder wer als Bürger galt: Männer und die Besitzenden. So wurde die Öffentlichkeit nicht nur zum zentralen Kampffeld darüber, über welche Bereiche des menschlichen Lebens politisch und gemeinschaftlich abgestimmt werden sollte, sondern auch wer seine Stimme vollwertig einbringen durfte. Continue reading “Die wollen nur spielen. Zur Aktualität von Partei- und Parlamentarismuskritik”

Des einen Freud…

Heute war in der FAZ ein Interview mit Asoka Wöhrmann zu lesen. Er leitet das Anleihegeschäft der Fondsgesellschaft DWS. Einem Marktführer in Deutschland. Auf die Frage, ob die DWS denn griechische Staatsanleihen kaufen würden, antworte Wöhrmann:

Aber sicher. Gerade vor drei Wochen haben wir zweijährige Staatsanleihen aus Griechenland gekauft und prächtig daran verdient: Ihr Kurs ist seitdem um 3 Prozent gestiegen.

Antimilitaristische Killerspiele

Mit sogenannten Killerspielen erlernen Kinder das Töten. Diese Vorstellung hat sich tief in unseren Alltagsverstand eingeschrieben. Nach den Erfahrungen der US-Army ist jedoch das Gegenteil der Fall: Die Spiele sabotieren die Grundausbildung in der US-Army. Die SoldatInnen hätten deutlich mehr Probleme mit »ihrem Job«, dem effektiven Töten als früher. Deshalb soll nach Medienberichten die Grundausbildung nach über 30 Jahren überarbeitet werden. Das berichtet u.a. golem.

Vom Grüßen des Busfahrers. Ein Streitgespräch über Parteipolitik und Rot-Rot-Grün

Ende Januar gründete sich das Institut Solidarische Moderne (ISM), das für viele eine Provokation darstellt. Die rechte politische Mitte befürchtet ein neues rot(-grün)es Lager, viele radikale Linke die Wiederbelebung parteipolitischer und parlamentarischer “Illusionen”, ausgerechnet mit den Hartz-IV- Parteien SPD und Grüne! Feststeht: Mit der Gründung des Instituts wird offen über die Regierungsperspektive Rot-Rot-Grün debattiert – unter Beteiligung radikaler Linker. Über Gefahren und Möglichkeiten der vom ISM gestellten Fragen diskutieren Florian Wilde (Die Linke.SDS), Mag Wompel (Labournet) und Thomas Seibert. Das Gespräch führten Ingo Stützle und Jan Ole Arps.

ak: Thomas, du hast dich dem Institut Solidarische Moderne angeschlossen, einer Institution, die als Vordenkerin eines rot-rot- grünen Regierungsprojekts gesehen wird – und wohl auch gedacht ist.

Thomas Seibert: Zwei nähere Bestimmungen sind für mich entscheidend. Erstens: Das ISM ist keine Initiative der drei Parteien, sondern ihrer linken Flügel. Es steht deshalb “nur” für eine linke Einflussnahme auf Rot-Rot-Grün, nicht für die Sache selbst. Zweitens: Das ISM ordnet den Versuch einer linken Einflussnahme auf Rot-Rot-Grün dem Prozess eines antineoliberalen gesellschaftlichen Blocks ein und unter. Es wirft damit die Frage nach dem Verhältnis zur Regierungsmacht auf. Was heißt es, im und aus der Gegenhegemonie auf Regierungsmacht auszugreifen, warum, wofür und wie kann und soll das geschehen?

Mir geht es in dieser Frage immer um zwei Unterscheidungen. Erstens um die der sozialen Bewegungen und der politischen Linken. Ich glaube, dass es eine politische Linke geben muss, die nicht einfach Bewegung ist. Zweitens um eine Unterscheidung innerhalb der politischen Linken: die zwischen ihrer parlamentarischen und ihrer außer- und antiparlamentarischen Form. Die Partei oder die Parteien sind nicht das Ganze der politischen Linken, sondern das Medium, über das soziale Kämpfe, soziale Bewegungen und außerparlamentarische Linke im Staat präsent sein können. Der Witz liegt darin, das nicht so zu denken, dass man nach einer Form sucht, in der dieses Spiel zu einem harmonischen würde, in Form einer “Doppelstrategie”, in einem Verhältnis von Stand- und Spielbein oder in der Illusion einer “Bewegungspartei”.

Stattdessen gilt es, einen nicht aufzulösenden Konflikt möglichst produktiv auszutragen. Dazu müssen die Akteure des Konflikts – die sozialen Bewegungen und die außerparlamentarische Linke einerseits, die parlamentarische Linke andererseits – getrennt bleiben, je ihrer eigenen Logik folgen – und sich trotzdem aufeinander abstimmen. Das kann durch Debatten geschehen, die ein Akteur wie das ISM initiiert, es kann auch dadurch geschehen, dass sich attac oder die Sozialforen weiter als bisher für Parteien öffnen, ohne ihre Distanz zur Parteiform aufzugeben.

Weiterlesen bei: ak – analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 548 vom 19.3.2010

Europäischer Währungsfonds – ein Widerspruch bekommt eine Bewegungsform

Werner Musslers Artikel in der FAZ (20.3.10) über den Eiertanz der Bundesregierung bei der Frage nach Hilfen für Griechenland hat mich an meinen Beitrag vor  exakt einem Jahr zu den ersten Debatten um die Krise des Euro erinnert (ak, 20.3.2009). Damals schloss ich den Beitrag mit folgenden Sätzen:

»Der IWF hat im Zuge der Krise eine unerwartete Aufwertung erfahren – und mit ihm seine wirtschaftspolitischen Vorstellungen, die als Bedingungen für gewährte Finanzhilfen gleich mitgeliefert werden. Bedingungen, die alles andere als eine Abkehr von neoliberaler Politik sind. Die durch den IWF erzwungene Politik hat in der Vergangenheit in nicht wenigen Ländern, die seine Hilfe in Anspruch nehmen mussten zu massenhaftem Widerstand geführt. Ob es dazu wieder kommt, ist ebenso ungewiss wie der weitere Verlauf der Krise – auch in der EU.

Das gilt vor allem auch deshalb, weil die EU die gegenwärtige Krise am liebsten ohne den von den USA dominierten IWF bearbeiten möchte. Denn die IWF-Auflagen betreffen auch die Politik der EZB. Sie sehen u.a. eine Haftung im Falle eines möglichen Staatsbankrotts vor. Ein Fall, den der EU-Vertrag gerade ausschließt. Gleichzeitig provoziert die von Deutschland forcierte Krisenpolitik der EU geradezu den Eingriff des IWF. Auch ein politischer Widerspruch, der den Verlauf der kommenden Monate wesentlich mitbestimmen wird.«

Es hat etwas gedauert, bis dieser Widerspruch deutlich zum Tragen kam. Ein Europäischer Währungsfonds (EWF), Schäubles Vorschlag, ist die Form, in dem er sich bewegen soll, der alte Schlawiner. Und es wäre nicht das erste mal, dass sich Deutschland in der EU durchsetzt…

An deutschen Tugenden soll die EU genesen

Nachdem aufgrund hoher Staatsverschuldung lange auf Griechenland eingeprügelt wurde, ist nun Deutschlands Wirtschaftspolitik in die Kritik geraten. Deutschland solle weniger exportieren und stattdessen den Konsum stimulieren. So heißt es aus Paris. Auch die DemonstratInnen in Griechenland sind nicht gut auf Deutschland zu sprechen – zu Recht. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle antwortete in einem FAZ-Interview wie es für einen Liberalen gehört: Wer lange über seine Verhältnisse gelebt habe, der solle jetzt nicht mit dem Finger auf andere zeigen.

Dass Brüderles Logik nur dann zieht, wenn man Konkurrenz und Profitlogik als ewiges Naturprinzip akzeptiert, wird im Bundestag sicherlich nicht diskutiert. Interessant ist jedoch, was als Gegenstand wirtschaftspolitischer Eingriffe in den Blick gerät und was nicht. So in einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Fraktion DIE GRÜNEN. Continue reading “An deutschen Tugenden soll die EU genesen”

Handreichungen zum Klassenkampf: Die EU im Würgegriff der Spekulation?

Weltmacht oder Pleitekandidat Euro
Weltmacht oder Pleitekandidat Euro?

Die globale Wirtschaftskrise hat die Staatsfinanzen vieler Länder erfasst. Jüngstes Beispiel: Griechenland. Doch statt über die wahren Ursachen zu sprechen, wird populistisch ein anderer Pappkamerad präsentiert, auf den sich trefflich einschlagen lässt: die Spekulation. Oder wie es Bild ausdrückt: »Verschwörung gegen den Euro«.

Vor diesem Hintergrund wollen Frankreich und Deutschland riskante Finanzgeschäfte, die den Euro gefährden, beschränken oder verbieten. Der Chef der Eurogruppe Jean-Claude Juncker droht mit »Folterwerkzeugen«, sollten die Spekulationen gegen Griechenland weitergehen. Nebulös bleibt jedoch, was sich hinter der Spekulation tatsächlich verbirgt. Continue reading “Handreichungen zum Klassenkampf: Die EU im Würgegriff der Spekulation?”

Das wird schon wieder. Der Schriftsteller Dietmar Dath zu Kunst und Politik

Dietmar Dath ist einer der umtriebigsten Gegenwartsautoren in deutscher Sprache. Ende der 1990er Jahre war er Chefredakteur bei der Pop-Zeitschrift Spex, danach im Feuilleton der FAZ tätig. Die bürgerliche Presse ist von seinem radikalen Ton schaudernd fasziniert. Selten darf jemand in DIE WELT Lenin als klugen Kopf preisen oder betonen, dass Revolutionen eben hässlich verlaufen. Der Roman, den er selbst als “Allesfresserform” bezeichnet, ist nicht sein ausschließliches Medium. In seinem breit rezipierten Essayband “Maschinenwinter” streitet Dietmar Dath für Sozialismus und eine vernünftige Realisierung gesellschaftlicher und technischer Möglichkeiten. Sein neues Buch “Deutschland macht dicht” erscheint Ende März.

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Mit Pleiten schwarze Zahlen schreiben

Laut einer aktuellen Studie ist die Deutsche Bank beim  Handel mit sog. CDS ganz vorne dabei, d.h. unter den Top 5: J.P. Morgan (7.502), Goldman Sachs (6.600), Morgan Stanley (6.293) Deutsche Bank (6.191) Barclays Group (6.033) (Mrd. US-Dollar, CDS-Bruttowerte, Kauf und Verkauf [Stand: März 2009])

Das Resultat der db-research-Studie: Die CDS würden die Marktqualität erhöhen. Na dann…

Märkte als Orte der Wahrheitsbildung

Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas Mayer hofft auf einen Erfolg des Sparkurses in Griechenland. Er erwartet, dass der Staat diesen gegen die Bevölkerung durchsetzt – so oder so. Gerne wird er als Experte eingeladen. Schließlich ist er Chefvolkswirt und hat Ahnung von Wirtschaft und Finanzmärkten. Experten braucht man. Schließlich muss man Märkte ‘vernünftig’ regulieren und nicht nach Partikularinteressen ausrichten. Aber natürlich gilt die bourgeoise Weisheit: Partikularinteressen? Das sind die anderen!

Armbrüster/Deutschlandradio: Beteiligt sich die Deutsche Bank denn eigentlich an solchen Spekulationsgeschäften gegen Griechenland?

Thomas Mayer: Was soll ich dazu sagen? Die Deutsche Bank ist natürlich im Markt aktiv, das ist aber keine Spekulation, sondern eine ganz normale Aktion, wie man das halt im Bankgeschäft macht.*

Wie sagt Foucault so schön: In der bürgerlichen Gesellschaft werden Märkte zu zentralen Orten der Wahrheitsbildung.

* Chefvolkswirt Deutsche Bank: Ansteckungswirkung auf andere Länder, Interview auf Deutschlandfunk (6.2.2010)

Das Kapital dreht sich wieder

Auch wenn Daths Beispiele (Postone, Pohrt etc.) nicht die meinen wären (und ich den Schluss problematisch finde), verwendet er in seinem Beitrag zu Kluges “Nachrichten aus der ideologischen Antike” doch ein schönes Bild für die neuen Möglichkeiten der Kapital-Lektüre nach 1989. Einen Punkt, den Jan Hoff, Alexis Petrioli, Frieder Otto Wolf und ich in unserer Einleitung zu Das Kapital neu lesen auch aufgegriffen hatten:

“Mit dem Ende des Realsozialismus ist auch die materielle Staatsmacht hinter dem ‘Weltanschauungsmarxismus’ verschwunden. Eine neue Kapital-Lektüre muss sich zwar mit überkommenen Lesarten auseinander setzen, gerät aber nicht mehr in die Versuchung, sich an Herrschendes anzubiedern, noch davon abzugrenzen.”

Wenn sich eine eigentlich ganz gute Idee blamiert

Auf die Veröffentlichung der Briefe anlässlich der Kündigung des freitag-Redakteurs Ingo Arend auf meinem freitag-blog schrieb Jakob Augstein folgenden Kommentar:

»Lieber Ingo Stützle,
es ist sicher ungewohnt, dass solche Themen öffentlich behandelt werden. Ich finde es aber, wie Sie, richtig.«

Nun scheint die »repressiven Toleranz« (Marcuse) ausgereizt. Der blog wurde samt Kommentaren gelöscht. Davor hatte sich der freitag aber natürlich noch Lob aus der bloggerInnen-Welt abgeholt: bemerkenswert offen und trasparent sei der freitag. Jetzt findet sich der gelöschte blog nur noch hier und (noch) bei google.

Wie heißt es so schön bei Karl Marx:

»Die ›Idee‹ blamierte  sich immer, soweit sie von dem ›Interesse‹ unterschieden war.« (MEW 2, 86)

Weniger Brutto

Das Statistische Bundesamt (Destatis) veröffentlichte gestern Daten, nachdem die durchschnittlichen Bruttoverdienste aller ArbeitnehmerInnen in Deutschland im Jahr 2009 um – 0,4%  gesunken sind – erstmals seit der Existenz der Bundesrepublik.

Beim WSI-Tarifarchiv der Hans-Böckler-Stiftung ist zu lesen:

Verantwortlich für den Rückgang der rechnerischen Pro-Kopf-Verdienste sind hauptsächlich der Ausbau der Kurzarbeit und der Abbau von Überstunden. Im Gegensatz zu den Pro-Kopf-Verdiensten sind die Bruttoverdienste je Stunde insbesondere durch den Abbau von Guthaben auf Arbeitszeitkonten um 3,0% gestiegen. Die Arbeitnehmer erhielten 2009 das Entgelt für die Arbeit, die sie in den Vorjahren bereits erbracht haben. Besonders stark betroffen war das Verarbeitende Gewerbe. Hier sanken die Pro-Kopf-Verdienste um 3,6% während auf Stundenbasis ein Zuwachs von 4,4% zu beobachten war. Auch die Lohnstückkosten, die die Relation von Arbeitskosten und Wertschöpfung darstellen, stiegen in diesem Wirtschaftsbereich besonders stark an (+ 15,3%).