Lévi-Strauss und ein schlechter Tausch

Die FAZ gibt sich ja wirklich Mühe. Über Strecken ist die ›neue‹ Gestaltung des Titelblatts auch wirklich geistreich und witzig. Auch heute wieder. Nur eben: entlarvend. Zum Tod Claude Lévi-Strauss wurde ein Foto abgedruckt und wie gewohnt mit einem Text versehen, der andere Themen des Tages aufgreift. Heute die Entscheidung von General Motors, Opel nicht zu verkaufen.

»Nicht weit vom Stamm – “Warum soll ich meine Tochter heiraten, wenn ich sie im Tausch mit einem anderen Stamm verwenden kann?” So erklärte ein Eingeborener dem Anthropologen Claude Lévi-Strauss einmal die Logik des Inzesttabus. Lévi-Strauss (Nachrufe auf Seiten 31 bis 33), auf unserem Bild 1935 in Brasilien, erklärte die Kultur aus dem Prinzip des Tauschs. Strukturalismus heißt, dass man alles umkehren kann. General Motors beweist es. Detroit (Seite 11) fragte Berlin (Seite 3): Warum soll ich meine Tochter verkaufen, wenn ich sie noch gebrauchen kann? «

Lévi-Strauss ethnologischen Beobachtungen im Amazonasgebiet schließt die bürgerliche FAZ mit der betriebswirtschaftlichen Entscheidung von GM kurz und zeigt damit mal wieder, dass es der bürgerlichen Klasse doch immer wieder gelingt, die modernen Kategorien der politischen Ökonomie umstandslos in die Vergangenheit rückzuprojizieren. Tausch und Nicht-Tausch scheinen in der Geschichte der Menschheit immer das gleiche. Ob im brasilianischen Urwald oder im modernen Kapitalismus, der zu viele Autos produziert.

Bitter amüsiert hatte sich bereits Marx darüber, der u.a. in einer Fußnote im »Kapital« den Autor Torrens mit folgenden Worten zitiert:

»In dem ersten Stein, den der Wilde auf die Bestie wirft, die er verfolgt, in dem ersten Stock, den er ergreift, um die Frucht niederzuziehn, die er nicht mit den Händen fassen kann, sehn wir die Aneignung eines Artikels zum Zweck der Erwerbung eines andren und entdecken so – den Ursprung des Kapitals.« Marx schlussfolgert nicht ohne Ironie, dass wohl aus jenem ersten Stock auch zu erklären ist, warum »stock« im Englischen synonym mit »Kapital« ist. (KI, 199, Fn. 9)

Dass der Tausch im Kapitalismus etwas völlig anderes ist als der archaische »Austausch«, einer anderen gesellschaftlichen Logik gehorcht und einer anderen Rationalität innerhalb der gesellschaftlichen Ordnung folg, scheint die FAZ nicht auf dem Schirm zu haben. Kein Wunder also, dass in Hennings Ritter Nachruf auf Lévi-Strauss auch Marcel Mauss’ Buch »Die Gabe« nicht auftaucht. Ein Buch, das Lévi-Strauss stark beeinflusste und an dem er kritisch anschloss. Insoweit konsequent: Für die FAZ scheint die Logik des Kapitals eben immer schon zu herrschen.

Lévi-Strauss’ früherer Oberassistent Maurice Godelier, ebenfalls Ethologe, der auch an Marcel Mauss kritisch anschloss, formulierte hierzu bereits 1965:

»Der Begriff des Kapitals wird also ›ausgedehnt‹ und zur Analyse jeder Gesellschaft verwendet, nachdem man ihm jeglichen Eigencharakter – nämlich den, Geld zu sein – genommen hat und ihn von den mit ihm gesetzten spezifischen gesellschaftlichen Verhältnissen, nämlich des Warentausch, abgelöst hat. Erst um diesen Preis wird der Kapitalbegriff für sämtliche Gesellschaften brauchbar, aber er definiert dann keine einzige mehr und macht sie sogar unbegreifbar. Es wäre eine Überlegung wert, warum man eigentlich so sehr darauf versessen ist, den Begriff des Kapitals auf jede Gesellschaft zu projizieren.«

Auch wenn bei Godelier teilweise problematische Formulierungen verwendet, ist seine letzte Frage in jedem Fall eine Überlegung wert. Mögliche Antwort: Vielleicht weil die Bourgeoisie ihre Herrschaft mit der Setzung des Kapitals als überhistorisches Phänomen verewigt? Zumindest theoretisch. Und das ist ja schon was wert.

Ein Bonbon zum Schluss: arte dokumentiert eine Lesung von Maurice Godelier aus Lévi-Strauss.