Re-Sozialdemokratisierung und Parlamentarisierung

La Repubblica aus Italien bringt auf den Punkt, was nach der Wahl links der real existierenden SPD diskutiert wird:

»Das linkszentristische Lager braucht heute zwei Dinge: Die Ausarbeitung eines neuen politischen Gedankens, um die Probleme, die eine radikal veränderte Welt stellt, anzugehen, und die Fähigkeit, alle ihre Kräfte zu vereinen, indem sie der Trennung zwischen Gemäßigten und Radikalen (in ihren eigenen Reihen) ein Ende macht.« (La Repubblica, 29.9.09)

Auf der einen Seite wird eine Re-Sozialdemokratisierung der SPD gefordert. Aber ohne DIE LINKE und/oder die Grünen bleibt ein politische Machtperspektive abstrakt und leer. Kein Wunder also, dass von einigen SozialdemokratInnen eine Entkrampfung des Verhältnisses zur Linkspartei gefordert wird. Eine Entkrampfung, die sich aber nicht nur inmachtpolitischen Spielchen erschöpft, sondern eben auch gemeinsamen Debatten niederschlagen muss (By the way eine Entkrampfung, die plötzlich weder CDU noch FDP auf die Plame zu bringen scheint, sondern als demokratische Bürgerpflicht der SPD gutgeheißen wird). Die zu Zeit nur erahnbare Entwicklung bei der Sozialdemokratie verweist jedoch auch die zweite Seite der Medaille: Den Prozess, den diese neue Optionen bei der Linkspartei auslösen wird. Ein Prozess, der nicht ohne Grund von der SPD freigesetzt werden wird, wie Heribert Prantl bereits letztes Jahr feststellte:

»Es ist das schwere Schicksal der SPD, dass sie nach den Grünen nun wohl auch noch die Linkspartei parlamentarisieren muss.«

Bei den Grünen ist der Prozess der Parlamentarisierung schon länger abgeschlossen. Wohl auch deshalb ist in den letzten Wochen und spätestens seit der großen Anti-Atomdemo in Berlin Anfang September von den grünlackierten Liberalen verstärkt eine Koketterie mit der Macht der Straße zu vernehmen. Was also noch fehlt ist eine breit geführte Debatte innerhalb der radikalen und außerparlamentarischen Linken. Leider wird diese auf sich warten lassen. Leider, denn obwohl ein linker Block links von Schwarz-Gelb noch lange nicht in Sicht ist, stehen diese politischen Kräfte nicht außerhalb des Geschehens und eine kritische und differenzierte Position wird dringend notwendig sein bei der Organisierung von Widerstand gegen die soziale Kaltfront. Apropos kritische Position: Ich glaube ich hatte da mal eine.

Der Euro stinkt nicht – Iran will Devisenreserven auf Euro umstellen

Kurz nach Obamas Verkündung die von seinem Vorgänger Bush geplanten Abwehrraketen in Osteuropa nicht zu stationieren und einer Dynamik auf den Devisenmärkten, die in in der Presse bereits als “geldpolitischer Durchfall” diskutiert wird, einer Abwertung des US-Dollars, vermeldet der Iran, dass es seine Devisenreserven auf Euro umstellen will. Damit ignoriert der Iran nicht nur die Sanktionsdrohungen, sondern setzt noch einen drauf, indem er die europäische Währung gegen den Greenback in Stellung bringt. Die Ölgeschäfte werden schon seit längerem in Euro gehandelt. Ein für die Weltwährungen und die Frage von Krieg und Frieden nicht unbedeutendes Faktum. Ob allerdings der US-Dollar in nächster Zukunft tatsächlich seine Rolle als Weltgeld einbüßen muss ist mehr als fraglich. Die Abwertung des US-Dollars ist weniger als Flucht aus dem US-Währung, als vielmehr als zunehmende Risikobereitschaft zu interpretieren – US-Staatspapiere werden verkauft und die liquiden Mittel auf die internationalen Finanzmärkte geschaufelt. Ob dort Gewinne blühen oder eine Verschärfung der Krise gesät wird bleibt abzuwarten. Die politische Botschaft aus Teheran hingegen ist eindeutig und wird dort ankommen wo sie auch verstanden werden wird.

Keine Steuerpolitik gegen Minderheiten

Im Anschluss an meine kurze Handreichung sei hier auf ein Chart aus der aktuellen DIE ZEIT hingewiesen, den weissgarnichts dankenswerterweise online gestellt und erweitert hat. Pink eingezeichnet ist die Einkommenshöhe, die nach den Vorhaben der LINKEN höhere Steuern zahlen sollten. Ich sag mal: Sozialismus sieht anders aus. Der rote Strich gaaaanz oben markiert die EinkommensbezieherInnen, die jährlich mehr als 125.000 Euro verdienen und nach den krass radikalen Vorschlägen der SPD mit einem höheren Spitzensteuersatz ausgepresst werden sollen. Nach der Einkommensteuerstatisik sind das ca. 1,6% aller SteuerzahlerInnen. So wie die Diskussionen gegenwärtig geführt wird, werden höhere Steuer für diese, nennen wir sie: Minorität, kaum durchgesetzt werden (Zur Erinnerung: Diese Minorität war es, die vom letzten Aufschwung maßgeblich profitiert hat).

Nachdem die Steuereinnahmen im Zuge der Krise einbrechen, weitere Kosten auf den Staat zukommen werden, stellt sich die Frage: wer soll das wie bezahlen? Wir ahnen schon: Sicherlich nicht die Wir-passen-in-keine-Einkommensgrafik-rein.

ZEIT-Chart zu Gehälter und Steuerpläne von DIE LINKE und SPD

Partei der LangschläferInnen

haengematte

Die FAZ scheint inzwischen gezwungen zu sein, die Linkspartei irgendwie ernst nehmen zu müssen. Wohl auch deshalb rechnet sie heute (16.9.09) im Wirtschaftsteil auf fast einer halben Seite vor, dass das, was DIE LINKE so vor hat alles, nur nicht bezahlbar ist. Eine andere Position hätte man auch nicht erwartet. Besonders lustig wird es gegen Schluss des Beitrags: Neben der Tatsache, dass alles nicht zu finanzieren sei, würde es zu einer »Deformation der Anreizstrukturen« kommen. Und weiter: »Wenn die Positionen der Partei DIE LINKE Politik würden, ließe dies erhebliche Ausweichreaktionen erwarten.« Auch das sind bekannte Argumente. Was aber sind nun die »deformierten Anreizstrukturen«? »Wenn große Gruppen der Beschäftigten weniger in der Woche und im Leben arbeiten oder aufgrund höherer Regelsätze ganz auf das tägliche frühe Aufstehen verzichten, wird insgesamt weniger produziert.« Ach so, das Aufstehen ist das Problem! DIE LINKE, Partei der Langschläfer.

Nachtrag: Die FAZ hat da wohl bei der Bild abgeschrieben: Dort äußerte sich letztes Jahr Berlins FDP-Fraktionsvorsitzender Martin Lindner zu Hartz IV zu Wort:

»Ich kann verstehen, dass sich Krankenschwestern, Erzieher oder neu eingestellte Busfahrer fragen, warum sie jeden Morgen aufstehen sollen, wenn ein Hartz-IV-Empfänger für gerade mal 50 Euro weniger den ganzen Tag im Bett liegen bleiben kann«.

CC-Lizenz, Foto: emzee

Aufgeblättert: Krisensammelsurium. Karl Heinz Roths »Die globale Krise«

Karl Heiz Roth (KHR) hat wieder ein Buch geschrieben. Beziehungsweise einen Teilband. Seit dem offen Ausbruch der Krise vor einem Jahr ist KHR durch Interviews, Diskussionspapiere und Interventionen beteiligt, die Krise zu deuten und Strategien für die Linen zu diskutieren. Dabei hängt KHR die Latte und den moralischen Anspruch recht hoch:

“Wir alle […] haben diese Verantwortung, weil wir vor einem strategischen Fenster stehen. Wenn wir nicht aufpassen, wird es sehr dunkel.”

Zwar relativierte KHR den dringlichen Ton, dennoch stellt die gegenwärtige Krise für ihn ein Epochenbruch dar. Das ist wohl auch ein Grund, warum sein bei VSA erschienenes Buch unter Hochdruck geschrieben und publiziert wurde. Leider. KHR hat sich nicht die Zeit genommen, das Material zu kondensieren und theoretisch aufzuarbeiten. Entstanden ist eine materialreiche Fleißarbeit, die leider nicht so recht zum Punkt kommt. Und hier ist schon das erste Problem: Das Buch ist der erste Band eines auf zwei Teile angelegten Projekts. Vieles was im ersten Band vermisst wird oder kritisiert werden könnte, holt KHR vielleicht  im zweiten Band ein. Aber das am Schluss des ersten Bandes abgedruckte Inhaltsverzeichnis deutet nicht darauf hin.

Der erste Teil der über 300 Seiten ist vor allem eine Rekonstruktion des Krisenverlaufs. Hierfür hat KHR vor allem die NZZ gewälzt. Detailliert stellt er den Übergang von einer Immobilien- zu einer Finanzkrise dar, die die Kapital und Währungsmärkte ebenso erfasst wie die Rohstoffmärkte, die Transport- und Autoindustrie (18ff.). Anschließend diskutiert KHR die politischen Reaktionen und Maßnahmen – national wie international (62ff.). Vor einem ausführlichen Vergleich historischer Krisen (1857-59; 1873-79; 1929-40) stellt er die Entwicklungen seit 1966/1967 dar. Continue reading “Aufgeblättert: Krisensammelsurium. Karl Heinz Roths »Die globale Krise«”

Wer soll das bezahlen? Besteuerung als Umverteilungsmaschinerie

Foto: CC-Lizenz, besar bears

Mitten im Wahlkampf versprechen Angela Merkel (CDU) und Guido Westerwelle (FDP) für den Fall einer schwarz-gelben Koalition, dass Firmen und Wohlhabende um 15 Mrd. Euro entlasten werden sollen. Ihre Argumentation folgt dabei der Logik der letzten Jahrzehnte: Leistung muss sich wieder lohnen. Wenn Unternehmen und Vermögende weniger Steuern zahlen müssen, so die Begründung für eine derartige Politik, dann sind sie auch bereit, zu investieren. Damit würden die Auftragszahlen wieder anziehen, mehr produziert werden, Arbeitsplätze entstehen und: Steuereinnahmen fließen. Eine Steuersenkung würde sich sozusagen selbst finanzieren.

Auch wenn diese fixe Idee weder theoretisch haltbar ist noch der Wirklichkeit entspricht, so hält sie sich hartnäckig und wird immer dann in Anschlag gebracht, wenn es Steuererleichterungen zu begründen gilt. Diese prägen die Finanzpolitik der letzten Jahrzehnte und bewirken zweierlei: Eine Umverteilung der Steuerlast von oben nach unten und steigende Staatsverschuldung. Letztere muss wiederum dafür herhalten, scheinbar notwendige Kürzungen öffentlicher Ausgaben durchzusetzen. Continue reading “Wer soll das bezahlen? Besteuerung als Umverteilungsmaschinerie”

Wie sich die Bourgeoisie auf Rot-Rot-Grün vorbereitet

Die FAZ ist manchmal putzig. Heute (1.9.09) findet sich im Wirtschaftsteil (lies: wichtigwichtig!) ein Beitrag zu einem Papier von Andrea Nahles und Jon Cruddas: Die gute Gesellschaft. Das Projekt der Demokratischen Linken. Das Papier wurde in der Wochenzeitung der freitag abgedruckt und von links kritisiert und kommentiert. Es ist Teil einer des sog. Crossover-Diskurses und ist nun fast ein halbes Jahr alt. Aufschlussreich also, dass das Papier von der FAZ erst jetzt zur Kenntnis genommen wird. Aufschlussreich deshalb, weil weniger der Beitrag von Nahles/Cruddas so wahnsinnig interessant ist, sondern weil sich die FAZ nur wenige Tage nach den Landtagswahlen im Saarland, Thüringen und Sachen gezwungen fühlt, sich mit dem Szenario eines linken Parteienprojekts jenseits der Mitte auseinander zu setzen. Konsequenterweise hätte die Überschrift “Wie sich die Bourgeoisie auf Rot-Rot-Grün vorbereitet” heißen müssen. Nicht: “Wie sich die SPD auf Rot-Rot-Grün vorbereitet”. Was” Grün” in derartigen Überlegungen zu suchen hat, ist noch etwas unklar. Dass dem FAZ-Artikel ein Kasten zur Seite gestellt ist macht schon mehr Sinn: “Wirtschaft irritiert über Landesergebnisse”.