Das neue K-Wort: Kreditklemme oder mit Marx eine Bank verstehen

Da musste Herr Steinbrück dann doch schnell zurückrudern. Schließlich titelte die Frankfurter Rundschau schon: “Steinbrück ruft den Kommunismus aus”. Angesichts der vom Finanzministerium konstatierten Kreditklemme drohte der amtsinhabende Minister vor ein paar Tagen mit “Maßnahmen, die es so in Deutschland noch nicht gegeben hat”. Dann war zu lesen, dass er damit natürlich keine “Zwangsmaßnahmen”, also den Kommunismus gemeint habe, sondern eben nur Maßnahmen. Ganz so, als seien staatliche Maßnahmen keine Zwangsmaßnahmen. Dann musste auch schon dementiert werden, dass die Bundesbank demnächst direkt Kredite an Unternehmen gebe. Diese Maßnahme werde nur geprüft.

Gangster ShootGeiz ist geil

In die Kritik geraten war die verantwortungslose Praxis der Banken, die den Unternehmen kein Geld leihen wollen. Erst waren die Banker zu gierig, jetzt sind sie den PolitikerInnen zu geizig. Um aus der Krise wieder herauszukommen, könnten die Banker doch bitte wieder ein paar Charakterzüge zeigen, die zwar für die Krise verantwortlich gemacht wurden, jetzt aber durchaus hilfreich sein könnten. So die scheinbar zugrunde liegende Diagnose. Die politische Klasse muss einem schon fast leid tun, so überfordert ist sie mit der zugegeben komplizierten Lage. Aber wer hat behauptet, dass der Kapitalismus unkompliziert ist?

Einige PolitikerInnen sind schon so nervös, dass sie bereits Maßnahmen vorschlagen, deren Gegenteil sie gerade noch durchsetzen wollten. Wie verzweifelt muss man denn sein? So wird in der SPD darüber diskutiert, die Eigenkapitalregeln von Basel II temporär zu lockern. Das soll die Kreditvergabe der Banken erleichtern. Banken müssen nämlich für Darlehen eine gewisse Quote an eigenem Kapital vorweisen können. Je weniger Eigenkapital sie haben, desto weniger Kredite dürfen sie vergeben. Die politische Klasse wollte als Konsequenz der aus der Krise diese Regeln gerade noch verschärfen. Vor allem die “ungehemmte” und “regellose” Kreditvergabe wurde als eine Ursache der Krise ausgemacht. Aber nun gut. Was interessiert mich mein Geschwätzt von gestern, wenn es um die deutsche Wirtschaft geht. Und das knapp vor der Bundestagswahl.

Gefühlte Kreditklemme

Unabhängig davon, ob es nun eine Kreditklemme gibt oder nicht, darüber streiten sich nämlich die Geister, manche sprechen gar von einer “gefühlten Kreditklemme”, ist sicherlich festzuhalten, dass die viel zitierte Kreditklemme zurzeit auch eher eine Metapher dafür ist, dass das mit dem Profitmachen gerade nicht so gut funktioniert. Es ist also alle Anstrengung wert, sich zu fragen, was Banken eigentlich sind, sollen und was man von ihnen eher nicht erwarten kann. Nach Herrn Steinbrück und allen, die sich nichts sehnsüchtiger als eine profitable Akkumulationsdynamik wünschen, sollen die Banken “endlich wieder ihrem eigentlichen Geschäft nachgehen”. Der Kreditvergabe an Unternehmen. Das eigentliche Geschäft? Sind die Banken der Caritasverband des deutsche Kapital? Vielleicht hilft ja der in der Krise sonst gern zitierte Marx ein wenig weiter.

Nach Marx modifiziert der Kredit den Verwertungs- und Zirkulationsprozess des Kapitals. Diese sind nicht allein durch das Geld, sondern immer auch durch den Kredit vermittelt (1).  Der Kredit hat vor allem zwei Funktionen: Zum einen den Umschlag des Kapitals zu beschleunigen und damit die Verwertung zu erhöhen; zum zweiten die Verwertung auszudehnen, indem das Volumen des vorgeschossenen Kapitals vergrößert wird. Beide Male stellt der Kredit eine Antizipation der Verwertung dar. Beide Male wird Kredit in der Hoffnung aufgenommen, dass die Verwertung gelingt. Und für die kreditgebenden Banken heißt das, dass sie nur dann Kredit vergeben, wenn sie davon ausgehen können, dass das auch klappt, mit der Verwertung.

Die Bank als reale Existenz des Geldkapitals

Aber nicht nur das. Eine Bank ist auch als kapitalistischer Betrieb organisiert und auf Profit ausgerichtet. Klar, eine Bank ist ein etwas anderes Unternehmen. Sie steht in der Hierarchie der Märkte oben, wo die Verteilung des Geldes organisiert wird.

Eine Bank, so Marx, “stellt auf der einen Seite die Zentralisation des Geldkapitals, der Verleiher, auf der andern sie Zentralisation der Borger dar.” (KIII, 416) Mit den Banken entsteht ein neuer, einheitlicher Leihkapitalfond – das unterscheidet sie von privaten Geldverleiher (2). Damit existiert ein (zumindest formal) allgemein und dauerhaft zugängliches Angebot an Leihkapital (vgl. Krätke 1999, 11).  Für den Zweck der Verwertung wohlgemerkt. Die Verwandlung allen Geldkapitals in Leihkapital ist Marx zufolge die “besondere Wirkung des Bankensystems” (KIII, 416).

Das “Kapital [ist] zur Ware geworden” (MEW 26.3, 457) und bekommt in Form der Bank in seiner “elementarischen Form” eine “reelle Existenz” (MEW 42, 362f.). Banken, so Michael Krätke, “werden zu den Knotenpunkten der Zirkulation, die die verschiedenen ‘Zirkulationssphären’ verknüpfen und den ständigen Übergang zwischen den verschiedenen Geldarten vermitteln.” (Krätke 1999, 13)

Mit den Banken wird der Kredit selbst zu Ware (KIII, 417) und als Bankkapital bestimmt Marx demnach das Kapital, das sich durch den Handel mit Kredit in allen möglichen Formen verwertet (KIII, 332, 416; vgl. Krätke 1999, 10). Durch die zentrale Rolle des Geldes für die kapitalistische Produktionsweise einerseits und die Zentralisation bei den Banken andererseits entsteht ein eigentümlicher Widerspruch: Die conditio sine qua non des Warentausches und der Verwertung des Kapitals, das Geld, wird zwar in Form von Zentralbanken staatlich garantiert und ausgegeben, aber ist zugleich in Form des Kredit- und Bankensystems der Profitlogik der kapitalistische Produktionsweise unterworfen. Es sind wesentlich die Banken, die die Verteilung des Geldkapitals unter die reproduktiven Kapitalisten vermitteln (MEW 42, 363; KIII, 522; MEW 26.2, 208, 483).

Marx stellt zum einen die zentrale Rolle des Kreditsystems bei der Herstellung der Durchschnittsprofitrate durch die Konkurrenz heraus (KIII, 451), des Weiteren habe es einen derartigen Einfluss auf das Handels- und Industriekapital, dass mit diesem “der Form” nach eine allgemeine”Compatibilität und Vertheilung der Productionsmittel auf gesellschaftlicher Stufenleiter” gegeben sei (MEGA² II.4.2, 661). Das Kreditsystem ist also für die Konstitution des gesellschaftlichen Gesamtkapitals wesentlich. Im dritten Band des Kapitals zeigt Marx, dass ein Einzelkapital über den Durchschnittsprofit Teil dessen wird und, so Marx, dieser “‘gesellschaftliche Charakter’ des Kapitals wird erst vermittelt und verwirklicht durch die Entwicklung des Kredit- und Bankensystems.” (KIII, 620) In den Grundrissen radikalisiert Marx diese Aussage: “Im Geldmarkt ist das Kapital in seiner Totalität gesetzt; darin ist es preisbestimmend, arbeitgebend, die Produktion regulierend, in einem Wort Produktionsquelle.” (MEW 42, 201)

Die steuernde Funktion des Kreditsystems

Das Kredit- und Bankensystem hat damit eine steuernde Funktion für die gesamtgesellschaftliche Reproduktion und ist dem Markt für Produktionsmittel, dort wo der Umfang der Investitionen bestimmt wird und dem Arbeits- und Gütermarkt übergeordnet (3). Auch wenn dem produktiven Kapital die alleinige Rolle zukommt, den Mehrwert zu produzieren.

Im Geld, so Marx, seien alle “besondren Gestalten, die das Kapital annimmt, je nach der besondren Produktionssphäre oder Zirkulationssphäre, worin es angelegt ist, […] ausgelöscht. […] Die Konkurrenz der besondren Sphären hört hier auf ” (ThüM III, 457). Infolgedessen kommt dem Zinsfuß des Kreditsystems eine besondere Rolle zu. Er tritt dem Einzelkapital als “Fixes, Gegebenes” (ebd.) gegenüber. Damit wird der Zins jedoch nicht allein für den borgenden Einzelkapitalisten zum Maßstab der Verwertung, sondern er wird zum Maßstab der Verwertung insgesamt. Der Zins ist zwar nicht Quelle des Profits (sondern ein Teil von ihm), aber legt dem Kapitalisten ein Zwang auf, einen Mindestprofit zu erzielen, den Zins. Genau das scheint den Banken zur Zeit sagen wir: unrealistisch. Allen Grund, auch mal “Nein” zu sagen.

Und das macht dann all diejenigen etwas fuchsig, die sich für “die deutsche Wirtschaft” verantwortlich fühlen, denn: Eine depressive Dynamik wird in einer krisengebeutelten Wirtschaft durch ein privat organisiertes und auf Profit ausgerichtetes Kreditgeschäft verstärkt. Umgekehrt gilt ebenso: Eine Akkumulationsdynamik, die hohe Profite ermöglicht und von der einen oder anderen Blase begleitet wird, wird durch das Kreditsystem wesentlich mitgetragen und bis zum Platzen aller Hoffnungen beschleunigt. (4)

Teilverstaatlichung der Kreditvergabe oder die sog. good bank

Was sich also zeigt ist, dass der Kreditmarkt zwar ein besonderer, aber eben auch ein nach kapitalistischen Prinzipien funktionierender Markt ist. Die Banken wollen und müssen (!) Profit machen sowie ein geringes bzw. überschaubares Risiko eingehen. Sie verleihen Geld in Form von Kredit als potenzielles Kapital (Marx). Wenn das Geld aber nicht seinem Gebrauchswert zugeführt wird, sich nicht verwertet, dann haben die Banken auch allen Grund eben kein Kredit zu gewähren. Karstadt hat ja auch nichts zu verschenken. Was sich also mit der von vielen Seiten konstatierten Kreditklemme zeigt sind somit die immanenten Grenzen der kapitalistischen Produktionsweise selbst. Der dominante Zweck der Produktionsweise stellt sich selbst ein Bein.

Und hier tritt dann der Staat auf den Plan. Schön zeigt das in einem Interview mit Professor Christoph Schalast von der Frankfurt School of Finance and Management (Deutschlandfunk vom 7.7.09). Der Moderator fragt:

Diese staatlichen Kredite, Herr Schalast, von denen Sie da sprechen, ist das die Drohung, die dahinter steckt, wenn Peer Steinbrück den Banken sagt, entweder ihr gebt Kredite, oder wir greifen ein?

Schalast: Das ist zumindest ein denkbares Instrument, nur ich kann den Begriff Drohung nicht wirklich verstehen. Was ist daran eine Bedrohung? Der Staat wird solchen Unternehmen Kredite geben, die von den Banken keine bekommen, das ist für ihn ein ganz erhebliches Risiko, er wird das dann auch entsprechend einpreisen müssen, aber er versorgt diese Unternehmen, die nach normalen Kriterien nicht kreditfähig sind, mit Liquidität und das macht er eben aus gemeinwohlorientierten Gründen und nicht aus wirtschaftlichen.

Allerdings ist der Staat dann Konkurrent der Banken.

Schalast: Ist er nicht, weil er gibt ja denjenigen Geld, die sonst keines bekommen hätten. Wo ist die Konkurrenz?

Wenn die Banken, wenn es denn stimmt, so zögerlich Kredite vergeben, kann man daraus schließen, Herr Schalast, dass die Banken davon ausgehen, diese Krise, die wir jetzt haben, die dauert länger?

Schalast: Nein, das kann man sicherlich nicht sagen. Wir haben auch erste Anzeichen, dass sich die Konjunktur wieder erholt. Die Banken haben einfach nur etwas aus der Krise gelernt, und das haben wir ihnen auch alle die ganze Zeit erklärt: Sie können nicht mehr und dürfen nicht mehr so leichtfertig wie in der Vergangenheit Kredite vergeben. […]

Hier wären wir dann wieder bei der Diskussion, die wir von der Verstaatlichung kennen. Diese stellt in einer tief greifenden Krise kein Gegenprinzip zu Markt und Kapital dar, sondern ist vielmehr die Form, in der die Reproduktion des gesellschaftlichen Gesamtzusammenhangs sichergestellt wird. Durchaus gegen die Interessen von Einzelkapitale. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass gegenwärtig laut über Maßnahmen nachgedacht wird, die es der Bundesbank ermöglichen soll, Unternehmen (vor allem dem Mittelstand) direkt Kredite zu vermitteln. Ohne den Umweg über das Kredit- und Bankensystem, die gerade weil sie privatwirtschaftlicht organisiert sind, dem nicht mehr nachkommen. Es fände somit eine Teilverstaatlichung der Kreditvergabe statt, um die Widersprüche der Kapitalreproduktion zu bearbeiten. Schließlich soll es ja bald wieder aufwärt gehen und darum braucht man eben nicht nur eine bad bank, sondern auch eine good bank.

Dass dies alles mal wieder eine typisch deutsche Diskussion ist zeigt mal wieder ein Vergleich mit den USA: Die FED verfolgt die skizzierte Praxis schon länger. Ohne dass dort schon der Kommunismus ausgebrochen ist.

Ingo Stützle

Anmerkungen:

1) Deshalb trifft der Vorwurf von u.a. Susan Strange, Marx würde den Kredit in seiner Analyse nicht berücksichtigen, zwar die ökonomische Klassik, nicht aber Marx’ Kritik der politischen Ökonomie.
2) Dieser wird auch durch den Salair der Lohnarbeiter gefüllt (vgl. MEW 42, 251).
3) Hier ist Marx’ Argumentation der Keynes’ These von der Hierarchie der Märkte nicht unähnlich.
4) Das ist auch die Dynamik, die Minsky als zentralen Motor für Krisenzyklen ausmacht. Siehe hierzu: Ein Minsky-Moment? – Die subprime-Krise und der »neue« Kapitalismus, Riccardo Bellofiore und Joseph Halevi (März 2008)

Literatur:

Krätke, Michael R. (1999): Bank, in: Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus (HKWM), Bd.2, Hamburg, 1-22.

Foto: CC-Lizenz, Steve Wampler