Aufgeblättert: David Marsh erzählt seine Geschichte des Euro

»Sollte es der Wunsch Frankreichs gewesen sein, den Euro zu gründen, um die vermeintliche deutsche Dominanz zu brechen, dann ist genau das Gegenteil eingetreten.” (Gerhard Schröder im Gespräch mit David Marsh)

Eigentlich müsste man skeptisch sein, wenn jemand auf knapp 400 Seiten eine “geheime Geschichte der neuen Weltwährung” – dem Euro – zum Besten gibt. Schließlich kann die erzählte Geschichte alles, nur eben nicht geheim sein. Sonst könnte man sie nicht nachlesen. Das erinnert dann doch arg an bekannte Formeln bei Verschwörungstheorien, die das Offensichtliche nicht offensichtlich sein lassen wollen und einer scheinbar unterdrückten Wahrheit frönen, die alles, jedoch weder Wahrheit noch unterdrückt ist. Aber sei’s drum: David Marsh hat es tatsächlich nichtnur geschafft, in vielen Gesprächen der politischen Elite das eine oder andere zu entlocken und viele Einschätzungen zur Geschichte des Euros zusammen zu getragen, sondern zudem – aufgrund seiner guten Kontakte – unveröffentlichtes Archivmaterial sichten können. Das Buch ist also durchaus interessant und erhellend, solange andere Arbeiten zum Thema herangezogen werden, die das eine oder andere wieder gerade rücken. Continue reading “Aufgeblättert: David Marsh erzählt seine Geschichte des Euro”

Kreditklemme und Grenzen der Profitabilität

»Dass die Kapitalisten, die so sehr gegen das ›droit au travail‹ [Recht auf Arbeit] schrien, nun überall von den Regierungen ›öffentliche Unterstützung‹ verlangen […], also das ›droit au profit‹ [Recht auf Profit] auf allgemeine Unkosten geltend machen, ist schön.« (Marx an Engels am 8. Dezember 1857)

In den letzten Monaten ist immer wieder von einer möglichen Kreditklemme die Rede. Letzte Woche hatte die EZB über 1100 capitalismBanken 442 Milliarden Euro für ein Prozent zugeteilt. Für ein Jahr. In der Nacht zu Freitag wurden hiervon 143,4 Milliarden Euro auf Einlagekonten bei der EZB zwischen gelagert. Sozusagen in die Obhut der EZB zurückgegeben. Dafür erhalten die Banken nur ein Viertel von dem, was sie an die EZB zahlen müssen, nämlich nur 0,25 Prozent. Das ist nichts Neues. Anfang 2009 waren zeitweise sogar mehr als 300 Milliarden Euro bei der EZB geparkt. Das Misstrauen zwischen den Banken war so groß, dass sie sich gegenseitig nichts mehr leihen wollten. Irgendwie verständlich.

Am Mittwoch forderte der deutsche Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) die Banken dazu auf, das Geld an die Unternehmen weiterzureichen. Was sie nicht taten. Warum aber so unartig? Hier können zwei Punkte deutlich gemacht werden, die zur Zeit niemand so recht eingestehen will: Zum einen nimmt ein kapitalistisches Unternehmen nur dann einen Kredit auf, wenn es davon ausgeht, mit dem Kredit das vorgeschossene Kapital für eine profitabele Anlage erweitern zu können. Sind die Profitmöglichkeiten gerade nicht besonders gut, nimmt ein Unternehmen auch keinen Kredit auf. Schließlich müsste es mindestens so viel Profit realisieren, wie Zinsen zu zahlen sind.

Natürlich brauchen viele Unternehmen dennoch Kredit. Schließlich herrscht KOnkurrenz. Vor allem jetzt in der Wirtschaftskrise. Aber auch Banken sind kapitalistische Unternehmen und nicht der Caritas-Verein. Weshalb sollten sie gerade den Unternehmen Geld borgen, die mit dem Rücken zur Wand, kurz vor der Pleite und nicht besonders profitabel sind? Und genau so sind zur Zeit die Unternehmen zu charakterisieren, die einen Kredit benötigen.

Das Problem ist also nicht unbedingt eine Kreditklemme. Das Problem ist, dass sich Kapital zur Zeit kaum profitabel anlegen lässt. Einigermaßen solide Unternehmen nehmen kein Geld der Banken, die es ihnen durchaus geben würden. Vor dem Bankrott stehende Unternehmen benötigen Kredit, bekommen von den Banken jedoch keinen. Es sei denn der Staat übernimmt eine Bürgschaft. Kapitalismus eben.

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Aus aktuellem Anlass: Staatsverschuldung als Kategorie der Kritik der politischen Ökonomie

Eines der gängigen Ressentiments gegenüber alternativer Wirtschaftspolitik ist die spöttische Frage nach deren Finanzierbarkeit. Darauf wird zumeist erwidert, dass dieses Problem auch eine Verteilungsdimension besitze. Die Entgegnung ist sicherlich richtig, doch sollte nicht aus dem Blick geraten, in welcher vorherrschenden Form Reichtum produziert wird und was die öffentlichen Finanzen als spezifische Form kapitalistischer Vergesellschaftung überhaupt ausmacht. Warum nimmt das ‚ökonomische Dasein’ (Marx) des Staates die Form des Steuerstaates an? Welche Reproduktionsbedingungen bringt diese Form für das Kapitalverhältnis mit sich? – Diese und ähnliche Fragen werden und wurden in den Debatten im Anschluss an Marxens Werttheorie kaum gestellt.  Die Staatsfinanzen auch als Gegenstand der marxschen Kritik der politischen Ökonomie zu begreifen, wird vielmehr zumeist pragmatischen Imperativen untergeordnet. Dabei waren die Staatsfinanzen für Marx ein durchaus relevantes Feld theoretischer Reflexion – gerade um zu verstehen, welchen ökonomischen Bedingungen staatliche Politik überhaupt unterliegt. […] Im Folgenden soll nun auf die Staatsverschuldung eingegangen werden. Ich möchte dabei nicht aktuelle finanzpolitische Phänomene diskutieren, sondern ‚Staatsverschuldung’ als theoretischen Begriff, als Kategorie der Kritik der politischen Ökonomie. Gezeigt werden soll der spezifische Charakter der Staatsverschuldung und welche Bedingungen diese für die gesellschaftliche Reproduktion und somit für politische Handlungsfähigkeit unter kapitalistischen Vorzeichen etabliert.

Der jetzt vollständig als pdf-Datei zu beziehende Artikel Staatsverschuldung als Kategorie der Kritik der politischen Ökonomie. Eine Forschungsnotiz” erschien in: Lindner, Urs/ Nowak, Jörg/ Paust-Lassen, Pia (Hrsg.); Philosophieren unter anderen. Beiträge zum Palaver der Menschheit. Frieder Otto Wolf zum 65. Geburtstag, Münster 2008, 239-262.

Die in diesem Aufsatz recht allgemein Fragestellung ist gerade jetzt so wichtig, da selbst ein Heribert Prantel bspw. in Juni-Ausgabe der Blätter mit dem Staatsrechtler Werner Hahnn d’accore geht, der behauptet, “die Verschuldung politischer Gemeinwesen [seien] eine ebenso universale wie zeitlose Erscheinung”. Also irgendwie natürlich, Staat, Steuern und Verschuldung die natürliche Formen der menschlichen Existenz.

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Spekulation auf Verteilungskonflikte unangebracht

Der FAZ gab Peer Steinbrück ein Interview, das zum Spekulieren anregt.

FAZ: Aber eine Mehrwertsteuererhöhung schließen Sie aus?

Peer Steinbrück: Ja. Das ist kein Thema. Die Erhöhung 2005 hat nicht nur zu Lasten meiner Partei zu einem Glaubwürdigkeitsverlust geführt, weil die SPD vor der Wahl 2005 etwas anderes gesagt hat, als sie hinterher gemacht hat.

FAZ: Aber wo wollen Sie dann das Geld herholen?

Peer Steinbrück: Das ergibt sich aus den Vorrangigkeiten und vor allem Nachrangigkeiten, die im Zuge einer Regierungsbildung gesetzt werden und die Einnahmen- wie Ausgabenseite des Bundeshaushaltes bestimmen. Darüber spekuliere ich jetzt nicht.

Spekulieren ist seit letzten Herbst zwar in Verruf geraten, ich mache es aber trotzdem: Für das Finanzministerium bleiben nach der Bundestagswahl im Herbst zwei Möglichkeiten: Einnahmen erhöhen oder Ausgaben senken. Werden weitere Schulden als Form der Finanzierung ausgeschlossen, bleiben: Steuererhöhungen. Das will z.Z. aber niemand hören. Sei’s drum! Sollen zumindest nicht die Mehrwertsteuern erhöht werden (Klaus F. Zimmermann vom DIW fordert inzwischen schon eine Erhöhung auf 25 Prozent), bleiben wenige Möglichkeiten: Will die kommende Regierung die “Leistungsträger” (seien es Selbstständige oder Unternehmen) für den nötigen Aufschwung nicht unnötig belasten, werden diejenigen geschröpft, die in den letzten Jahren mehr und mehr die Steuerlasten tragen müssen – die Lohnabhängigen.

Was ist aber mit der Seite der Ausgaben? Hier gilt ein relativ einfacher Grundsatz: Man muss kein Geld einnehmen, wenn man keines ausgibt. Neben Steuererhöhungen wird die kommende Regierung somit vor allem mit einem beschäftigt sein: Der Bevölkerung klar machen, dass der Schuldenabbau (im Namen der künftigen Generationen) und niedrige Steuern vor irgendwelchen Sozialausgaben Vorrang haben müssen; also die sozialstaatliche Abfederung der ab Ende des Jahres einbrechenden Folgen der Wirtschaftskrise für die Lohnabhängigen nachrangig ist.

Bei einem Punkt hat Peer Steinbrück aber in jedem Fall recht:

“Eins ist deshalb schon jetzt klar: wie immer die Regierungskonstellation nach dem 27. September aussehen wird – es wird erhebliche Verteilungskonflikte geben.”

Wollen wir hoffen, dass er Recht hat. Wenn auch in einem anderen Sinn.

Die aufrichtige Bourgeoisie

marx-in-bruesselManchmal ist die Ehrlichkeit der Bourgeoisie doch recht erquickend. So heißt es in einem FAZ-Kommentar zum Vertrag von Lissabon: “Seit die Iren im vergangenen Jahr bei einer Volksabstimmung mehrheitlich mit Nein stimmten, war klar, dass das Projekt nur zu retten sei, wenn sie diese Entscheidung […] in einem zweiten Anlauf korrigierten. Das mag ein demokratisch anrüchiges Verfahren sein, aber so sind sie nun einmal, die Verhältnisse in der EU.” – Ja, so sind sie halt, die Verhältnisse. Da kann man eben nichts machen und da muss die Bourgeoisie eben auch mal die eigenen, bürgerlichen Normen kurzzeitig gute Vorsätze sein lassen…

Als Marx in diesem Haus in Brüssel lebte, nahm sich die Boutgeoisie selbst noch etwas ernster. Foto: CC-Lizenz, historic.brussels

Marx global

Nachdem der Akademie Verlag nicht nur Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA) herausgibt, sondern zudem seit 2003 wieder die Tradition des Marx-Engels-Jahrbuch aufgenommen hat, wundert es nicht, dass der Verlag weitere Publikationen zur Marxforschung zu der inzwischen wieder regen Debatte beisteuert. Nach Ingo Elbes “Marx im Westen” folgt nun Jan Hoff mit “Marx global”. Hoff nimmt vor allem die Marx-Rezeption außerhalb Deutschlands und Europas ins Blickfeld. Dies ist eine lobenswerte Initiative, die sicherlich die deutsche Diskussion bereichern wird, da diese doch all zu oft glaubt, der Nabel der Marx-Welt zu sein.

Aufgeblättert: Die parlamentarische Linke in Europa

Linke parlamentarische Politik in der Hauptstadt der EU, in Brüssel? Was wird da nochmal entschieden: wie krumm eine Gurke sein darf? Die EU ist dennoch alles andere als irrelevant, sie war und ist die politische Form, in der neoliberale Politik in Europa durchgesetzt wurde – als politisch organisierter Sachzwang. Um Licht ins Dunkel der Brüsseler Politik zu bringen, hat Martin Schirdewan anlässlich der Europawahl seine Dissertation popularisiert. Was es neben der Linksfraktion im Europäischen Parlament (GUE/NGL) noch gibt, wissen nicht viele. Wer kennt schon die Kommunistische Partei von Böhmen und Mähren (KSM), die in der Europäischen Linkspartei z.Zt. Beobachterstatus hat? Diverse Diskussions- und Strömungsplattformen und politische Spektren organisieren das politische Geschehen und verlaufen dennoch quer zur wichtigsten linken Partei in Brüssel, die Europäische Linke (EL). Vor allem deren Entstehung zeichnet Schirdewan nach. Neben Strömungen, Organisationsformen und der Zusammenarbeit in Brüssel stellt der Autor jedoch auch die Konflikte der politischen Spektren dar. Er unterscheidet hier vor allem zwischen reformsozialistischen Kräften (Nordisch Grüne Linke und Neue Europäische Linke), traditionellen KommunistInnen und dem – in Deutschland nicht so relevanten – Trotzkismus. Nach wie vor seien aber Kooperation und auch die Diskussionen zwischen linken Kräften in Brüssel rudimentär, auch wenn mit der Gründung der EL eine neue Qualität erreicht sei. Das Buch soll explizit eine breitere Öffentlichkeit erreichen. Leider wird es gerade dieser nicht unbedingt weiter helfen, weil ganz grundsätzliche Fragen unter der akribischen Arbeit zu den unterschiedlichen politischen Akteuren und Foren begraben werden. Welchen Einfluss hat das Europäische Parlament überhaupt? Macht es Sinn, von links die Perspektive einer Demokratisierung der EU zu diskutieren? Was bedeutet Schirdewans Beobachtung, dass die linken Parteien sich zunehmend den Arbeitsmechanismen des Parlaments anpassen? Zudem setzt der Autor viele Rahmenbedingungen europäischer Politik, das Institutionengefüge und die Bedingungen linker Politik als bekannt voraus. Für eine breitere Öffentlichkeit wären weniger Details und der Mut zur Lücke sicher hilfreicher gewesen.

Ingo Stützle

Martin Schirdewan: Links – kreuz und quer. Die Beziehungen innerhalb der europäischen Linken. Karl Dietz Verlag, Berlin 2009, 160 Seiten, 14.90 EUR

Erschienen in: ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 540 vom 19.6.2009