Der nach wie vor zappelnde Neoliberalismus

titanic_steuernAngesichts der Krise sehen die einen den Neoliberalismus völlig am Ende, die anderen sehen ihn einfach nur politisch diskreditiert und wiederum andere üben sich in Bescheidenheit: die neoliberale Hegemonie habe lediglich Risse bekommen. Wie aber stellt man fest, ob der Neoliberalismus tot ist oder sich nur kurz zu einem kleinen Schönheitsschlaf verabschiedet hat, um gestärkt wieder ans Tageswerk zu gehen?

In der FAZ ist heute ein Kommentar zum Parteitag der FDP. Im Wirtschaftsteil. Auffällig sind zwei Punkte. Zum einen zeigt der Kommentar, wie groß der Spielraum des nach wie vor Sagbaren ist. Nicht die Privatisierung der Rente gehört angesichts der Finanzkrise auf den Prüfstand, nein, vielmehr gelte es die gesamten Sozialversicherung auf eine kapitalgedeckte Finanzierung umzustellen. Schande über die FDP, die diesen Punkt nicht offensiv in die Debatte einbringt. Es gibt sie also doch noch, die ganz harten neoliberalen Vorstellungen vom Umbau der Gesellschaft.

Aber ein weiterer Punkt hat mich dann doch erstaunt und meine Überzeugung genährt, dass der Neoliberalismus alles, nur nicht am Ende ist. Vor ein paar Tagen publizierte die OECD eine Studie zu Steuern und Abgaben. Heike Göbel kommentiert diese wie folgt:

“Von der Idee eines transparenten und leistungsfreundlichen Einkommensteuerrechts geht offenkundig ein starker Reiz aus. Dass es hier noch viel zu tun gibt, zeigt der jüngste Belastungsvergleich der OECD.”

Zeigt das die Studie? Was zeigt denn die Studie? Dazu ist bei Gödel nichts zu lesen. Bereits im Pressetext der OECD zur besagten Studie heißt es:

“Deutschland belastet wie kaum ein anderes OECD-Land die Einkommen von Gering- und Durchschnittsverdienern mit Sozialabgaben und Steuern.”

OK, das hat man irgendwie geahnt. Und wie verhält es sich mit dem “leistungsfreundlichen” Charakter des deutschen Steuersystems? Hierzu stellt die Studie fest:

“In diesem Jahr legt die OECD zum ersten Mal detaillierte Daten zur Steuer- und Abgabenlast für nahezu das gesamte Einkommensspektrum vor und bringt so eine Besonderheit des deutschen Systems ans Licht: Anders als die progressive Einkommenssteuer vermuten lässt, sinkt in Deutschland die Belastung der Arbeitseinkommen ab einem bestimmten Punkt wieder. […] So fallen in Deutschland bei einem Single mit einem Jahresgehalt von rund 63.000 Euro mit 53,7 Prozent die höchsten Abzüge durch Steuern und Sozialbeiträge an. Bei 110.000 Euro Jahresgehalt müssen dagegen nur noch 50 Prozent der Arbeitskosten (Bruttoverdienst plus Sozialbeiträge Arbeitgeber) an Sozialkassen und Staat abgeführt werden. Die Steuer- und Sozialabgabenquote liegt damit wieder auf dem Niveau eines Arbeitnehmers mit 36.500 Euro Jahresgehalt.”

Das heißt doch nichts anderes, als dass man nur genug verdienen muss, um wieder weniger Steuern zahlen zu müssen. Also ist das Steuersystem doch “leistungsfreundlich” – oder etwa nicht? Diese Frage lässt sich in zwei Richtungen Auflösen. Entweder der Kommentar hat die gleiche Stoßrichtung wie die Forderung nach einer kapitalgedeckten Sozialversicherung. Es soll also um eine noch stärkre Entlastung der sog. Leistungsträger gehen. Oder, und das ist die andere Möglichkeit, der ideologische Stand ist so hegemonial, dass er Studien mit wissenschaftlichen Weihen in seinem (neoliberalen) Sinne verwenden kann – auch wenn diese der Sache nach gar nicht dafür herhalten können, vielmehr das Gegenteil aussagen. Und was, wenn nicht das, ist Hegemonie?

Die Abwrackprämie oder der Einstieg in den entgeltfreien öffentlichen Personennahverkehr

Eigentlich heißt die Abwrackprämie ja Umweltprämie und ist schon heute ein heißer Anwärter auf das Unwort des Jahres. Im blog des Instituts für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung hat Michael Brie nun endlich seinen Vortrag veröffentlich, den er auf dem Kapitalismuskongress von attac gehalten hat: Die Abwrackprämie oder der Einstieg in den entgeltfreien öffentlichen Personennahverkehr.

Pressefreiheit in Gefahr?

Der gar nicht so bornierte ehemalige Verfassungsrichtiger Dieter Grimm (siehe seine Ausführung zum modernen Konstitutionalismus als Resultat von Klassenkämpfen und nicht als Einsicht der Vernunft), hat in einem Gespräch mit der FAZ bzgl. der Presselandschaft angesichts der Krise zu Protokoll gegeben:

“Die Neigung wächst, Inhalte zu bevorzugen, für die man sich besondere Aufmerksamkeit eines breiten Publikums verspricht, ohne dass sie große Kosten verursachen.”

Die Agora in Athen war in der griechischen Antike ein Versammlungsplatz der Polis und wurde für die Heeres-, Gerichts- und Volksversammlungen der freien Bürger genutzt.
Die Agora in Athen war in der griechischen Antike ein Versammlungsplatz der Polis und wurde für die Heeres-, Gerichts- und Volksversammlungen der freien Bürger genutzt (Foto: xenicabliss, CC-Lizenz).

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Eine Frage der Souveränität: Banken, die Finanzkrise und wer Hilfe nötig hat

kreditberatung-als-standardausruestungZeitgleich zu einem Artikel in der financial times deutschland veröffentlichte das US-amerikanische Center for Public Integrity (CPI) eine Studie zu Banken, deren Lobbyarbeit und ihrem Verhältnis zu einigen Aspekten der Finanzkrise. Demnach sind 21 der 25 wichtigsten Subprime-Kreditgeber vor allem von den Banken finanziert, die nun mit staatlichen Geldern versorgt werden. Erstaunlich ist das nicht unbedingt. Ebenso wenig erstaunlich ist der dennoch sehr interessante Teil der Studie, der einen geschichtlichen Abriss über die De- und Re-Regulierung seit den 1980er Jahren bietet. Hier zeigt die Studie, wie die engagierte Hypothekenlobby die Versuche einer schärferen Regulierung zu verhindernwusste. Poulantzas würde das als einen Moment der Verdichtungsprozesse sozialer Kräfte- und Klassenverhältnisse im Staat beschreiben. Also als einen ganz normalen Teil politischer Macht, sozialer Auseinandersetzungen und Konstitution staatlicher Herrschaft.

Auch die aggressive Kreditwirtschaft war der Politik schon länger bekannt. Ebenso wie die Folgen. Nur interessiert es eben eine Weltmacht erst unter ganz bestimmten Umständen. So heißt es in einem Bericht des Pentagon von 2006: Insgesamt “werden durch räuberische Kreditvergabe die militärischen Einsatzbereitschaft zersetzt, die Moral der Truppe und ihrer Familien geschwächt und die Kosten der Bereitstellung einer rein aus Freiwilligen bestehenden Berufsarmee erhöht.”

Die private Überschuldung, die viele Menschen erdrückende Schuldenfalle und die besondere Form der aggressiven Kreditvergabe stellte also ganz unmittelbar die kriegerischen Fähigkeiten der USA in Frage – zumindest partiell. Das muss dann doch die entsprechenden Stellen interessieren. Bereits vor 2006 wurde deshalb das Problem auch angegangen. So erhielten bereits ein Jahr zuvor 345.000 Soldaten und Angehörige Schulungen im Umgang mit ihren Finanzen und finanzielle Hilfe.

Soldaten, die bis zum Hals in Schulden stecken, sich den Kopf über die nächste Rate und den nächsten Besuch des Krediteintreibers zerbrechen, sind nicht unbedingt die Soldaten, die den Feind der USA gut kennen und konzentriert Leben auslöschen bereit sind. Gegenüber dem diensthabenden Befehlshaber hilft schließlich nicht die Ausrede: “Ich war mit meinem Kopf gerade woanders!”

Bild: shaunwong, CC-Lizenz

Kämpfen wie Gott in Frankreich

In den letzten Wochen wurde viel über die Besonderheiten der französischen Protestkultur berichtet. Unmut und Protest äußert sich relativ radikal und eruptiv. Statt gemeinsam mit dem Kapital über die eigene Ausbeutung zu weinen, wird schon auch mal das eigene Werk abgefackelt oder mit Sprengung gedroht (Moulinex). In letzter Zeit war besonders das Festsetzen von Managern und Unternehmensführung beliebt. Eine neue Studie zeigt jedoch noch ganz andere Seiten: In keinem Land der OECD wird so viel Zeit für Essen (durchschnittlich zwei Stunden) und Schlafen (durchschnittlich neun Stunden) aufgewendet wie in Frankreich. Mit einem kaum erstaunlichen Ergebnis: In Frankreich lebt man länger. Ob da ein Zusammenhang besteht?

Piraten und der Welthandel

“Piraterie bedrohe den Welthandel” – so oder ähnlich ist es bei Focus, Der Spiegel oder dem Handelsblatt zu lesen. Dabei verhält es sich genau umgekehrt! Die internationale Piraterie auf den Weltmeeren leidet unter dem Kollaps des Welthandels! Während noch im Oktober 2008 nur 70 Linienschiffe piraten-im-gartenweltweit in den Häfen stilllagen, waren es im April 2009 bereits 486! Für die sich verschlechternden Existenzgrundlage für Piraten ist zu einem nicht unwesentlichen Teil das exportorientierte Deutschland verantwortlich.

“Der globale Containerumschlag in deutschen Häfen ist im Januar um 22 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat gesunken, das war noch vor einem Jahr für niemanden denkbar”, sagte Burkhard Lemper, Professor am Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik in Bremen dem Merkur. Im Februar ist der deutsche Export im Vergleich zum Vorjahr um über 20 Prozent eingebrochen. Laut Financial Times Deutschland liegen weltweit mehr als zehn Prozent aller Containerschiffe ohne Beschäftigung in den Häfen.

Kein Wunder also, dass inzwischen schon Passagierschiffe zum Beuteobjekt werden und sich die internationale Piraterie zu einem zunehmend umkämpften Markt unter verschärften Konkurrenzbedingungen entwickelt.

Bild: joriel, CC-Lizenz