Die Krise und der postmoderne Kannitverstan

Dass die Dynamik und die Ursachen der Krise alles andere als einfach zu durchschauen sind – geschenkt. Dass der Buchstabensalat aus CDOs, CDS, MMS und ABCPP etc. pp. einem nicht so recht schmecken mag ist auch verständlich. Warum aber aus der Not eine Tugend machen? Was wenn aus dem Wald, der vor lauter Bäumen nicht mehr gesehen wird, plötzlich ein Zauberwald wird. Ein postmoderne Zauberwald, wo Erklärungen einen ebenso dunklen Charme bekommen wie die Wertpapiere nach der dritten Ableitung? Diese scheinbaren Erklärungen in der Krise helfen nicht nur nicht, sie sind ein Teil des Problems. Sie sind Gegenaufklärung.

Gerhard Pretting hat in der aktuellen DIE ZEIT (23. April 2009), selbstredend im Feuilleton, ein Denkmal für den postmodernen Kannitverstan gesetzt. “Traurige Märkte” heißt sein Text. Wenn schon alles so undurchsichtig, ja esoterisch klingt, dann kann man es doch gleich mit den “neuen Philosophen” (Poulantzas) aus Frankreich weiter verunklären. Zum Beispiel mit Deleuze und Guattari (letzterer ist in der DIE ZEIT falsch geschrieben).

Pretting bleibt der Postmoderne treu. Ganz besonders schön zeigt der Text, was mit der Philosophie der Differenz abhanden kam: ein Verständnis davon, was Kapitalismus eigentlich ist, was soziale Verhältnisse jenseits ihrer Bedeutung in einem Diskurs ausmachen. Es wäre nicht weiter von Belang, vielleicht sogar lustig, wenn derartige Texte gegenwärtig nicht Teil des Problems sind und neben den auch sonst ärgerlichen wie falschen Erklärungen der Krise (Gier, Zinspolitik der USA etc.) keinen Deut zur Selbstverständigung beitragen.

Die endlose Kette an Schuldverschreibungen des Wertpapier-Buchstabensalats, so Pretting, sei nichts weiter als eine Signifikantenketten von Zeichen – ein Zeichenregime. Zeichen verweisen auf Zeichen, nicht auf Reales, verführen die Akteure der Finanzwelt und lassen sie nach dem Platzen der Blase wie verträumte Kinder zurück. Hinter dem Zeichenregime der Finanzwelt würde vor allem eines lauern: Nichts. Kein Wunder also, so Pretting, dass jetzt auch nichts mehr da ist. Als wäre das nicht schon Verunklärung genug, verdeutlicht Pretting den Schmu auch am Kredit und der Verschuldung. Es wäre zu einer “begrifflichen (!) Umcodierung” dessen gekommen, was Schulden bedeuten. Scheinbar hat das nach Pretting nichts damit zu tun, dass sich die kapitalistische Produktionsweise als herrschende Produktionsweise durchsetzte. Er fragt sich nicht, warum Kreditverhältnisse wie sie in der französischen klassischen Literatur (Balzac, Zola, Flaubert) oder bei Shakespeares geschildert werden, eben nicht mit heute zu vergleichen sind. Bei Pretting löst sich der Unterschied dahingehend auf, dass die frühere Scham über die Schulden verflogen sei. Heute sei man ein Narr, wenn man sich nicht verschulde – eine “begriffliche Umkodierung” eben. Verschwunden sind in dieser postmodernen Erklärungswelt die sozialen Verhältnisse in denen der Kredit und eben auch die Schulden zu verstehen sind. Und eben nur in diesen. Kredit ist mit der Herrschaft der kapitalistischen Produktionsweise nicht mehr, wie Marx betont, ein Mittel zur Verarmung (wobei es diese immer noch gibt), sondern eine Mittel zur Bereicherung, der Kredit wird zum mächtigsten Hebel der Akkumulation. Bei einer Produktionsweise, in der ein möglichst hoher Profit und eben nicht die Befriedigung der Bedürfnisse der unmittelbare Zweck der Produktion ist, bekommt der Kredit und damit die Verschuldung eine ganz andere Bedeutung. Der Kredit ist Mittel zur Bereicherung und als ein solches Mittel wurde er in den letzten Jahren auch erfolgreich eingesetzt. Der Kapitalismus wäre aber nicht der Kapitalismus, wenn das Scheitern immer schon als Möglichkeit präsent ist – in Form der Krise. Dies ist aber ohne ein Begriff von der kapitalistischen Produktionsweise ebenso wenig zu verstehen wie die damit einhergehende Möglichkeit, das Kreditverhältnis selbst zu einer Ware zu machen.

Mit einer “begrifflichen Umkodierung” hat das ebenso wenig zu tun, wie “Lohnarbeiter” einfach nur ein anderes Wort für “Sklave” ist.

Was bleibt ist ein schwacher Trost: Der Text von Gerhard Pretting ist (noch) nicht online. Also auch irgendwie nicht real.

Die Gegenmacht kommt nicht aus den Regierungsbänken

Da hatte die FAZ erst den Rosa-Luxemburg-Komplex entdeckt, die Frauen in der Linkspartei, da lässt es sich Oskar nicht nehmen, den doppelten Lafontaine zu mimen. Im Superwahljahr 2009 will er nicht nur für den Bundestag, sondern auch für die Landtagswahlen im Saarland als Spitzenkandidat antreten. Schon die Tatsache, dass Saarlands Landeschef Rolf Linsler betont, dass Lafontaine auch ohne Chance auf den Stuhl des Ministerpräsidenten sein Landtagsmandat annehmen will, sollte stutzig machen. Continue reading “Die Gegenmacht kommt nicht aus den Regierungsbänken”

Das Leben der ganz anderen – groteske Mechanik der Macht

Die DDR hat es wirklich gegeben. Die von Rayk Wieland erzählte Geschichte ist auch tatsächlich passiert. Zu Klaus Bittermanns Besprechung ist wenig hinzuzufügen. Die Stasi wird auf einen pubertierenden Jungen aufmerksam, der regelmäßig und mit Hingabe seiner Geliebten in den Westen schreibt. 20 Jahre nach dem Fall der Mauer, fast 30 Jahre nach den ersten Gedichten, erfährt der inzwischen nicht mehr so jugendliche Autor, dass nicht nur er, sondern auch seine Gedichte Gegenstand von Stasi-Ermittlungen und Überwachung waren. Wielands Stasi-Akte kehrt als Gedichtsammlung wieder. Ein grotesk kommentierte Sammlung längst vergessen und verloren geglaubter Gedichte. Ein wirklich großartiges Buch.

Auf WDR2 liest Wieland selbst eines der im Buch mit Stasi-Anmerkungen versehenen dokumentierten Gedichte vor und die Jungle World hat ein Kapitel vorveröffentlicht. Ein Interview mit RadioEins findet sich in der ARDmediathek.

Dass die Geschichte und wie Wieland sie beschreibt so grotesk erscheint, hat sicher auch was mit dem zu tun, was Foucault über die grotesken Mechanismen der Macht sagt. Den Zusammenhang von willkürlicher Herrschaft und Groteske führ Foucault in der Vorlesung am College de France vom 8. Januar 1975 (Die Anomalen) aus:

“Die Groteske gehört zu den entscheidenden Verfahren der willkürlichen Herrschaft. […] Mir scheint es […] darum zu gehen, eindeutig die Unumgänglichkeit und Unvermeidbarkeit der Macht vorzuführen, die auch dann noch in aller Strenge und in einer äußerst zugespitzten gewaltsamen Rationalität funktioniert, selbst wenn sie in den Händen von jemandem liegt, der tatsächlich disqualifiziert ist.”

Ein Oberleutnat, der weder das brennende Feuer der Liebe, noch Schiller oder Shakespeare kennt, hat es sicher leicht, Gedichte und jugendlichen Nihilismus als staatsgefährdend einzustufen… Aber ich schlage vor, das Buch zu lesen.

Veranstaltung mit Rolf Hecker: Die vielen Schichten der Zwiebel: Wie das Kapital entstand

Das Kapital von Karl Marx ist nicht vom Himmel gefallen. Es ist wie jeder Text unter bestimmten historischen, politischen und nicht zuletzt persönlichen Umständen entstanden. Wesentlichen Anteil an der rezipierten Textfassung der drei Bände des Kapital hatte Friedrich Engels. Zu Marx’ Lebzeiten kam nur der Erste Band des Kapital heraus, viele Manuskripte wurden erst Jahrzehnte nach seinem Tod herausgebracht, manche warten immer noch auf ihre Veröffentlichung. Doch die zahlreichen Original-Schichten unter den “Blauen Bänden” werden ehrgeizig freigelegt, jüngst gerade zum Zweiten Band des Kapital. Rolf Hecker skizziert, wie das Kapital entstanden ist, führt in die Geschichte der verschiedenen Texteditionen ein und liefert einen Einblick in die spannende und ziemlich turbulente Reise der Marxschen Manuskripte durch halb Europa.

Termin: Mittwoch, 29. April 2009, 19.30 Uhr
Ort: Rosa-Luxemburg-Stiftung, Franz-Mehring-Platz 1, Berlin (Raum wird im Foyer bekannt gegeben)

Um verbindliche Anmeldung wird gebeten bei Anne Steckner

Siehe auch www.das-kapital-lesen.de