Economic Safer Sex

Krisen sind immer auch Zeiten des Neu-Sprech. Da soll die Krise dazu dienen, gestärkt aus ihr hervorzugehen. Ganz so als sei eine Weltwirtschaftskrise ein PowerNap.

Einen neuen Höhepunkt stellt die Aussag des luxemburgischen Premier- und Finanzministers Jean-Clause Juncker dar. Er forderte auf dem Treffen der europäischen Finanzminister (Ecofin) am 10. März angesichts Rumäniens Antrag auf Zahlungsbilanzhilfe dazu auf, endlich damit aufzuhören, über weitere Hilfen für osteuropäische Staaten zu diskutieren. Dies führe zu einer neuen künstlichen Teilung Europas. “Wir sollten gelernt haben, dass es den Ostblock seit dem Fall der Mauer nicht mehr gibt.”

Eine künstliche Teilung Europas also. Ungarn musste letzten Oktober also nicht den Handel mit seinen Staatsanleihen einstellen, weil es keine Abnehmer mehr fand und keinen Kredit mehr bekam? Viele osteuropäische Währungen sind also nicht seit Wochen im freien Fall, was gleichzeitig ein Steigen der Außenverschuldung bedeutet? Nach Ungarn, Lettland und Rumänien ist gegenwärtig also nicht auch die Ukraine von einem Finanzkollaps bedroht? “Nasing spesal” würde wohl der lettischen Finanzminister Atis Slakteris kommentieren.

Aber Juncker hat Recht. Einen eisernen Vorhang gibt es schon lange nicht mehr. Im Kapitalismus sind die Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse anders organisiert – über die unsichtbare Hand. Da dürfen auf der einen Seite keine Menschen aus den osteuropäischen Ländern in Deutschland Arbeit suchen. Als ausgleichende Gerechtigkeit geht jedoch das westeuropäische Kapital gen Osten. Zum Beispiel die Banken. Bei der Commerzbank machte zirka ein Viertel des Vorsteuergewinns die Geschäfte in Polen und der Ukraine aus. Die österreichische Erste Bank erwirtschaftete 25 Prozent ihres Profits in Osteuropa. Ähnlich sieht es beim industrielle Kapital aus: Von den 25 umsatzstärksten Firmen Osteuropas stammen 18 aus dem Westen.

Es kann also keineswegs von einer Mauer zwischen Ost- und Westeuropa die Rede sein. Es trifft wohl eher die Formulierung des britischen The Economist (26.02.09) hinsichtlich Deutschland zu: economic safer sex.

Erstveröffentlichung bei freitag.de