Alle Macht geht vom Volke aus. Nur wo geht sie hin? Rummelplatz von Werner Bräunig

Einfach ein gutes Buch. Werner Bräunig zeigt in Rummelplatz aus der Sicht von Kommunisten und ArbeiterInnen, Funktionären und westlichen Journalisten die junge DDR zwischen 1949 und 1953. Er zeigt einen biederen und stalinistisch imprägnierten Staat, der für sich beanspruchte, nach der Befreiung vom Nationalsozialismus ein neues Kapitel für die Menschheit aufgeschlagen zu haben. Aber wie Stefan Heyms “Die Architekten” zeigt er das Fundament einer Gesellschaft, das Schriftsteller wie Bräunig nicht aushalten konnte und einen Staat, der ihn als Schriftsteller nicht wollte. Folgerichtig endet der Roman am 17. Juni 1953, dem Tag, an dem Brecht zynisch den Vorschlag formulierte, die Regierung solle sich doch ein neues Volk wählen. Die andere Seite der Medaille formuliert der Arbeiter und Kommunist Fischer in Bräunigs Roman: “[w]enn Massen von Arbeitern die Partei nicht mehr verstehen, dann können daran doch nicht die Arbeiter schuld sein.”

Aber auch die kulturelle Enge ist in “Rummelplatz” allgegenwärtig, wenn der Arbeiter Peter Loose als subversives Element in den Knast muss – weil er laut Volkspolizei während einem Konzert die Ruhe und Ordnung des Sozialismus durch Rowdytum und Tanzen gefährdet hätte. In dieser Verfolgung des kulturellen Lebens hört man bereits die Biederkeit Erich Honeckers: “Unsere DDR ist ein sauberer Staat. In ihr gibt es unverrückbare Maßstäbe der Ethik und Moral, für Anstand und gute Sitte.” Und die DDR-Realität wird schlimmer als der beste Witz, den man sich in Bräunigs Roman erzählt: “Sag mal, Zacharias, weiß du, was der Unterschied ist zwischen dem Klassenfeind und den Bürokraten? Na, der Klassenfeind macht uns Schwierigkeiten, die Bürokraten leiten sie weiter. Oder weißt du, was ein Dogmatiker ist? Das ist einer, der sich in den Schriften auskennt und das Leben nur anerkennt, wenn es mit den Schriften übereinstimmt. Oder der Unterschied zwischen einem Kleinbürger und einem Sektierer? Also da ist keiner. Die wollen beide unter sich bleiben…”

Schulden bremsen?

Da muss die politische Klasse das machen, was sie seit Jahren eigentlich hoch und heilig versprochen hat gerade nicht mehr zu tun – Schulden machen – und schon greift sie in ihrer grenzenlosen politischen Phantasie zu etwas, was wirklich keiner von ihnen gedacht hätte: Sie wollen ein Gesetz! Ein Gesetz gegen zügellose Verschuldung! Ganz großes Kino.

Die sog. Schuldenbremse wurde schon vor dem Zugeständnis Steinbrücks diskutiert, dass die Krise auch Deutschland erreicht hätte. Davor hatte der wirklich sehr weitsichtige Finanzminister ja noch daran festgehalten, dass die USA das Epizentrum der Krise sei, ihre Suppe selbst auslöffeln solle und Deutschland ganz gut da stehe. Na ja, aber wo das Vertrauen in die Politik schwinden, weil morgen dies, morgen mal das behauptet wird, da muss eben eine knallharte Selbstverpflichtung her. Ein Gesetz also, dass die Staatsverschuldung auf vernünftiges Maß reduzieren soll. Was immer das sein soll.

Ganz vergessen wird hierbei, dass es eine solche grundgesetzliche Begrenzung der öffentlichen Schuld schon einmal gab. Bis zur Verabschiedung des sog. Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (StabG) 1967 war eine großzügige diskretionäre und antizyklische Politik durch das Grundgesetz verboten. Vor der Reform des Artikels 115 des Grundgesetzes 1969 wurde explizit zwischen ordentlichen (Steuern) und außerordentlichen (Kredite) Einnahmen des Staates unterschieden. Zudem war im Artikel 110 GG die Forderung nach einem ausgeglichenen Staatshaushalt festgeschrieben. Diese Vorgabe wurde dann mit dem StabG abgeschafft und mit dem europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt von 1996 quasi wieder eingeführt. Ende der 196oer Jahre stand dahinter die Vorstellung, dass nur Investitionen rentabel sind und mit diesen immer schon die Zins- und Tilgungsverpflichtungen garantiert sind. Diese dem Staat auferlegte Einschränkung war der finanzklassischen Vorstellungen der Deckungsregel verpflichtet, also der Vorstellung, dass die grundlegenden und ordnungspolitischen Maßnahmen des Staates durch ordentliche Steuereinnahmen gesichert sein müssten. Continue reading “Schulden bremsen?”

Endlich wieder Staatsmann

Die Sehnsucht nach einem deutschen Obama, einem charismatischen Mann, der alles richtet, geht oft mit der Glorifizierung alter Staatsmänner einher. Angesichts der Finanzkrise und seines 90igsten Geburtstags wurde dann auch des Öfteren der gute alte Helmut Schmidt zum organischen Intellektuellen der staatstragenden Linken – da gaben sich die Linken innerhalb der SPD und der Lafontaine-Flügel in der Linkspartei nicht viel. Schließ prangerte er schon lange den Raubtierkapitalismus an. Das tolle an einer derartigen Projektionsfläche ist, dass die ersehnte politische Souveränität, Weitsichtigkeit sowie die Führungsfähigkeit, die über alle politischen und gesellschaftlichen Widersprüche erhaben scheint, die tatsächliche zu verantwortende Politik überstrahlt.
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Stamokap: Alter Wein in alten Schläuchen

Tom Strohschneider macht in seinem immer lesenswerten weblog darauf aufmerksam, dass mit der gegenwärtigen Finanzkrise auch alte Zeiten wieder kommen. Will heißen: Alte Erklärungsmuster. Sich diese in Erinnerung zu rufen ist sicherlich wichtig. Vor allem deshalb, weil das eine oder andere Statement unausgesprochen und implizit auf scheinbar längst vergessenen Theorien beruht oder sich gar offen darauf bezieht. So wird gegenwärtig die Theorie des Staatsmonopolistischen Kapitalismus wieder en vogue. Manche haben diese Theorie noch nie zu den Akten gelegt. Leider. Deshalb ist es in diesen Zeiten auch wieder wichtig, die Kritik an damals wie heute falschen Theorien wieder stark zu machen.

Eine nach wie vor brauchbare Kritik zur Frage von Monopolkapitalismus bietet Elmal Altvater in seinem Text “Wertgesetz und Monopolmacht” von 1975. Er schreibt dort: “Das Monopol kann demgegenüber als ein spezifischer Moment der Konkurrenz aufgefasst werden. […] Da die Konkurrenz nicht aufhört zu wirken, wenn einzelne Kapitale als Monopole existieren, wird das einzelkapitalistische Streben nach Monopolstellungen, weil diese einen überdurchschnittlichen Profit eintragen, immer wieder durch die Ausgleichsbewegung der Einzelkapitale – in denen sie sich als Teil des Gesamtkapitals konstituieren – konterkarieren. Monopol und Konkurrenz sind daher auf der Ebene der Ausgleichsbewegung bzw. der Durchsetzungsformen der Bewegungsgesetze der Produktionsweise nicht qualitativ Verschiedenes oder gar einander Ausschließendes.” (Altvater 1975: 159; siehe auch Altvater 1980)

Daran anschließend zeigte Ulrich Jürgens (1980) in seiner historisch-empirischen Studie zu Deutschland um die Jahrhundertwende, dass sich in der institutionellen Form des Kartells gerade eine Restrukturierung des Gesamtkapitals vollzieht, um die allgemeine Form des Kapitalverhältnis zu erhalten. Es ist davon auszugehen, dass gegenwärtig ein ähnlicher Prozess stattfindet – in globalem Maßstab.

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Die Zeche der Krise und die Hegemonie des Kapitals

Es ist schon unglaublich. Und erschreckend zugleich. Wir erleben gegenwärtig nicht nur die schwerste Krise seit 1929, sondern eine Macht des Kapitals, die ernüchternd ist. Das Kapital dominiert nicht nur die Sicht der Dinge wenn es darum geht, was gegenwärtig eigentlich das Problem sein soll, nein, auch die Lösungsstrategien werden bisher im Sinne des Kapitals diskutiert und durchgesetzt. Dass dabei auch die Lasten der Krise mehr als ungleich verteilt werden ist offensichtlich. Dass aber die Journaille ihren Sachverstand in der alltäglichen Redaktionskonferenz vergisst, macht eine informierte Diskussion noch schwerer. Beispiel: Schulden und Konjunkturprogramme. Da proklamiert der neue Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Hans-Peter Keitel, im Interview der Woche auf DLF eine klare Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums für die kommenden Jahre – ohne kritische Nachfrage des Moderators vom DLF oder einem Kommentar im Bericht zum Thema. Continue reading “Die Zeche der Krise und die Hegemonie des Kapitals”

Blau machen. Ein Zwischenresümee zu Klassenpolitik und Sozialstaatskritik

Die Gruppe Blauer Montag aus Hamburg hat wie kaum ein anderer politischer Zusammenhang die Debatte um Möglichkeiten radikaler sozialpolitischer Intervention geprägt – seit über 15 Jahren auf hohem Niveau. Seit Anfang der 1990er hat sie eine Perspektive stark gemacht, die sie als Klassenpolitik bezeichnet. In einem Sammelband zieht sie nun Zwischenbilanz. Der Band ist weit mehr als ein paar gesammelte Aufsätze, nämlich eine politische Herausforderung, weiter die richtigen Fragen zu stellen und Antworten dort offen zu lassen, wo nach wie vor Ratlosigkeit herrscht. Continue reading “Blau machen. Ein Zwischenresümee zu Klassenpolitik und Sozialstaatskritik”