Kommentierte Literatur zum Thema Freihandel

In seinem Beitrag „Ideal und Wirklichkeit – Freihandelstheoretiker und ihre Kritiker haben einiges gemeinsam“ skizzierte Ingo Stützle die Grundlagen der Freihandelstheorien und die gängige Kritik daran. Aus Platzgründen mussten die Literaturhinweise entfallen. Als kleine Entschädigung präsentieren wir hier eine von Ingo Stützle kommentierte Literaturliste. Iz3w

Selten gemacht, aber auch beim Thema „Freihandel“ unentbehrlich ist der Griff zum Lexikon. Es gibt eine Fülle von Lexika, die Ergiebiges dazu bieten haben. So findet man in Jahns Aufsatz von 1927 (Jahn 1927) Wissenswertes über die klassische Freihandelsbewegung (siehe auch Hentschel 1975; Oncken 1886; Raffel 1905), ähnlich wie in dem Aufsatz von Büchner (1965). Erkenntnis bringend ist, wie nahezu alle Aufsätze des Lexikons Geschichtliche Grundbegriffe, der Exkurs „Wirtschaftlicher Liberalismus“ von Rudolf Walther (1982) zum Stichwort „Liberalismus“. Hier wird gezeigt, wie der Begriff historisch aufgekommen und einen bestimmten Inhalt bekommen hat, dessen Geschichte jedoch nach und nach verleugnet wird. Auf die Tradition der marxschen Theorie bedacht ist das Stichwort „Freihandel“ von Krätke und Willing (1999) im Historisch-Kritischen Wörterbuch des Marxismus. Dieser Artikel ist allerdings inhaltlich etwas gebrochen. Während der erste Teil die klassisch politische Ökonomie und die marxsche Theorie sowie die imperialismustheoretischen Debatten kenntnisreich und auf den Punkt gebracht referiert, hätte man auf den Schluss des Artikel, der die gegenwärtige Entwicklung zu skizzieren versucht, getrost verzichten können. Alle angesprochenen Lexika gehören zum Grundbestand jeder besseren Bibliothek.

Ein klassischer Text ist inzwischen Marx’ Rede über die Frage des Freihandel (Marx 1848). Noch vor einer „gereiften“ Kritik der politischen Ökonomie diskutierte Marx die Auseinandersetzung in seiner vorzüglichen Art als Konflikt zwischen verschiedenen Klassenfraktionen, der erst mit einer Wahlrechtsreform 1832, welche die Herrschaft der feudalen Klassen politisch brach, möglich war. Marx Verständnis – oder besser gesagt: seine Kritik – von Außen- und Freihandelstheorien ist inzwischen selbst zum Gegenstand von Literatur geworden (Block 1987; Ghorashi 1995; Girschner 1999; 2001; 2004; Krätke/ Willing 1999). Die an Marx anschließenden Debatten sind kaum zu überblicken (Krätke/ Willing 1999). Besonders relevant waren die Diskussionen um den ungleichen Tausch. Das stichwortgebende Buch von Emmanuel (1969) wurde breit diskutiert (Busch 1973; Mandel 1972; Schoeller 1973: 318ff.).

Die Neoklassik in ihren quasi-religiösen Prämissen nimmt Michael Krätke in seinem amüsant geschriebenen Artikel „Neoklassik als Weltreligion“ auf’s Korn (Krätke 1999).

Klassische Texte wurden bei Diehl/ Mobert (1920) gesammelt. Obwohl der Ullstein-Verlag diese Reihe neu auflegte, fehlt der Band zu Freihandel und Schutzzoll. Er ist also nur noch antiquarisch oder in guten Bibliotheken zu finden. Neuere Beiträge sind bei Rose (1971) versammelt. Einen guten Überblick über die klassische politische Ökonomie, in der sich nach und nach die Vorstellung von Gleichgewicht und ökonomischer Eigengesetzlichkeit durchsetzte, geben Reichelt/ Zech (1985). Hier wird auch deutlich, dass die heutigen ökonomischen Theorien ihre historischen Referenzen gerne zurechtbiegen. Die heute vorherrschende Vorstellung von zwei getrennten und autonomen Sphären – Ökonomie auf der einen, Politik auf der anderen Seite – existierte damals nicht. Diese bildeten eine ungebrochene Einheit, wobei der Ökonomie noch keine „Eigengesetzlichkeit“ zugesprochen wurde (eine Voraussetzung, um eine Befreiung der „Marktkräfte“ von staatlichen Eingriffen überhaupt denken zu können). Unter „Freihandel“ wurde in der Klassik deshalb etwas anderes verstanden, auch wenn der beliebte Rückgriff auf ökonomietheoretische Klassiker dies oft ausblendet (siehe Walther 1982).

Einen guten Einblick in die klassische und neoklassische Theorie des Außenhandels bietet das Lehrbuch von Heine/ Herr (2000). Sie diskutieren und kritisieren die Theoreme auf Grundlage ihrer eigenen Voraussetzungen. Nach deren Ausführungen weiß man nicht so recht, was man mit Aufsätzen wie jenem von Siebert (2002), seines Zeichens emeritierter Präsident des Instituts für Weltwirtschaft, noch denken soll. Es ist den organischen Intellektuellen des Neoliberalismus nämlich möglich, trotz nicht-konsistenter Grundlage ihrer Theorie Wissen zu produzieren. Wissen, mit dem Politik gemacht und Herrschaft eingerichtet wird. Einmal mehr zeigt sich, dass weniger ein besseres Argument, sondern soziale Kräfteverhältnisse zählen und Wahrheit einmal mehr ein soziales Verhältnis ist.

Konkrete Analysen von Freihandelspolitik finden sich en masse, sie bewegen sich allerdings mitunter auf den in meinem iz3w-Artikel skizzierten unterschiedlichen Ebenen der Kritik. So vergleichen Unger (2003) und Chang (2003) lediglich das Ideal des Freihandels mit der historischen oder politischen Wirklichkeit. Christoph Scherrer dagegen zeichnet an konkreten Klassenauseinandersetzungen die Veränderung der Außenhandelspolitik der USA nach und begreift den Freihandel als politisches Hegemonialprojekt (Scherrer 1992; 1999).

Ingo Stützle

Literatur:

Block, Klaus-Dieter (1987): Zur Herausbildung der Marxschen Theorie der internationalen Wirtschaftsbeziehungen in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts in: Arbeitsblätter zur Marx-Engels-Forschung, H.19, 56-77.

Büchner, Richard (1965): Freihandel, in: Beckerath, Erwin v. / Bente, Hermann, et al. (Hg.): Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Bd.4, Göttingen – Stuttgart – Tübingen, 133-138.

Busch, Klaus (1973): Ungleicher Tausch – zur Diskussion über internationale Profitrate, ungleichen Tausch und komparative Kostentheorie anhand der Thesen von Arghiri Emmanuel, in: Probleme des Klassenkampfs 8/9, 3.Jg., H.3, 47-88.

Chang, Ha-Joon (2003): Über die Geschichte des wirtschaftlichen Protektionismus. Was der Freihandel mit einer umgestoßenen Leiter zu tun hat, in: Le Monde diplomatique, 16.06.2003, 12-13. (Online unter http://www.taz.de/pt/2003/06/13/a0050.nf/text, Zugriff am 08.10.2005)

Diehl, Karl / Mombert, Paul (Hg.) (1920): Freihandel und Schutzzoll. Ausgewählte Lesestücke zum Studium der politischen Ökonomie, Bd.9, 2.Auflage, Karlsruhe i.B.

Emmanuel, Arghiri (1969): Unequal Exchange, A Study in the Imperialism of Trade, New York – London, 1972

Ghorashi, Reza (1995): Marx on Free Trade, in: Science & Society, 59.Jg., H.1, 38-51.

Girschner, Christian (1999): Politische Ökonomie und Weltmarkt. Allgemeine Weltmarktdynamik in der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie, Köln

Girschner, Christian (2001): Falsche Kategorien oder verkehrte Welt? Eine Kritik des Dienstleistungsbegriffs und der Außenhandelsketegorien am Beispiel der Globalisierungsdiskussion (Beiträge zur sozialökonomischen Handlungsforschung, Nr.3), Bremen (Online unter http://www.wiwi.uni-bremen.de/seari/beitrag3girschner.htm, Zugriff am 01.10.2005)

Girschner, Christian (2004): Die verkehrte Welt des Außenhandels, in: Gerlach, Olaf / Kalmring, Stefan, et al. (Hg.): Peripherie und globalisierter Kapitalismus. Zur Kritik der Entwicklungstheorie Frankfurt/M., 133-149.

Heine, Michael / Herr, Hansjörg (2000): Volkswirtschaftslehre. Paradigmenorientierte Einführung in die Mikro- und Makroökonomie, Zweite, ergänzte Auflage, München – Wien

Hentschel, Volker (1975): Die deutschen Freihändler und der volkswirtschaftliche Kongress 1858 bis 1885, Stuttgart

Jahn, Georg (1927): Freihandelslehre und Freihandelsbewegung, in: Elster, Ludwig / Weber, Adolf, et al. (Hg.): Handwörterbuch der Staatswissenschaften (Vierte Auflage), Bd.4: Finanzen – Gut, Jena, 354-371.

Krätke, Michael R. (1999): Neoklassik als Weltreligion, in: Loccumer Initiative kritischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (Hg.): Kritische Interventionen. Flugschrift Kritischer Wissenschaft, Bd. 3, Die Illusion der neuen Freiheit. Realitätsverleugnung durch Wissenschaft, Hannover, 100-144. (Online unter http://www.offizin-verlag.de/aufsaetze/39aea9fe6f105/1.html, Zugriff am 13.03.02)

Krätke, Michael R. / Willing, Gunter (1999): Stichwort »Freihandel«, in: Haug, Wolfgang Fritz (Hg.): Historisch-Kritisches Wörterbuch des Marxismus, Bd.4, Hamburg, 927-940.

Mandel, Ernest (1972): Der Spätkapitalismus. Versuch einer marxistischen Erklärung, Frankfurt/M., 1974

Marx, Karl (1848): Rede über die Frage des Freihandel, gehalten am 9. Januar 1848 in der Demokratischen Gesellschaft zu Brüssel, in: MEW, Bd.4, 444-458. (Online unter http://www.mlwerke.de/me/me04/me04_444.htm, Zugriff am 10.10.2005)

Oncken, August (1886): Die Maxime ›Laissez faire et laissez passer‹ ihr Ursprung, ihr Werden. Ein Beitrag zur Geschichte der Freihandelslehre (Berner Beiträge zur Geschichte der Nationalökonomie, Nr.2), Bern

Raffel, Friedrich (1905): Englische Freihändler vor Adam Smith, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Ergänzungsheft XVIII

Reichelt, Helmut / Zech, Reinhold (1985): Nationalökonomische Theorien: Merkantilismus, Physiokraten und Klassiker, in: Fetscher, Iring / Münkler, Herfried (Hg.): Pipers Handbuch der politischen Ideen, Bd.3, Neuzeit: Von den Konfessionskriegen bis zur Aufklärung, München, 561-615.

Rose, Klaus (Hg.) (1971): Theorie der internationalen Beziehungen, Köln-Berlin

Scherrer, Christoph (1992): Im Bann des Fordismus. Die Auto- und Stahlindustrie der USA im internationalen Konkurrenzkampf, Berlin

Scherrer, Christoph (1999): Freihandel als hegemoniales Projekt? Zur Geschichte der Außenwirtschaft in den USA, in: Widerspruch, 19.Jg., H.38, 5-17. (Online unter http://www.uni-kassel.de/fb5/globalization/pdf/freihandel_hegemoniales_projekt.pdf, Zugriff am 08.10.2005)

Schoeller, Wolfgang (1973): Werttransfer und Unterentwicklung – zur neueren Diskussion um Weltmarkt, unterentwicklung und Akkumulation des Kapitals in unterwentwickelten Ländern (anhand von E. Mandels, der Spätkapitalismus), in: Probleme des Klassenkampfs 6, 3.Jg., H.1, 99-120.

Siebert, Horst (2002): Die Angst vor der internationalen Arbeitsteilung – eine Auseinandersetzung mit den Globalisierungsgegnern, in: Aussenwirtschaft, 57.Jg., H.1, 7-28.

Unger, Karl (2003): Zwischen Freihandel und Protektionismus. Die größte Diskrepanz zwischen Realität und Mythos zeigt sich an den Staaten, die am lautesten von Liberalisierung und freier Marktwirtschaft tönen: Großbritannien und USA, in: Junge Welt, 26.11.2003

Walther, Rudolf (1982): Exkurs: Wirtschaftlicher Liberalismus (Stichwort Liberalismus), in: Brunner, Otto / Conze, Werner, et al. (Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd.3, Stuttgart, 787-815.

 

Buchbesprechung zu “Das Kapital neu lesen” in der FR

Pars pro toto. Zurück zu Marx & Co.

Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts kursiert das Wort von den “Marxtötern”. In der Tat ist kaum jemand so oft zum “toten Hund” (Marx über Hegel) erklärt worden wie Karl Marx. Nach 1989 sah es eine Zeitlang so aus, als ob das ultimative Urteil über Marx und die Marxismen gesprochen worden wäre.
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Vom Kalten Krieg zum Neoliberalismus

Frank Deppe hat den dritten Band seiner 1999 begonnenen Reihe “Politisches Denken” vorgelegt. Dieser hat die Zeit des Kalten Kriegs bzw. des Fordismus und seines Niedergangs zum Gegenstand. Deppe bricht mit einem Strukturprinzip der bisherigen Bände, nämlich der verknüpfenden Darstellung der sozioökonomischen Rahmenbedingungen und politischen Denkens. Er begründet das mit dem Umfang des zu bearbeitenden Stoffs, der Zeitspanne zwischen Kriegsende und Zusammenbruch des Realsozialismus. In wie weit die Trennung sinnvoll ist, lässt sich wohl erst mit dem zweiten Teilband beurteilen, in welchem u.a. Arendt, de Beauvoir (die ersten Frauen nach fast 1.000 Seiten!), Sartre, Abendroth, Galbraith und Ché Guevara verhandelt werden sollen. Wie Deppe diese Auswahl begründet, bleibt ebenfalls offen. Die Ausbreitung des Fordismus nach dem Ende des Faschismus zeigt Deppe vor dem Hintergrund einer allgemeinen Überlagerung gesellschaftlicher Konflikte mit dem Ost-West-Gegensatz, der für ihn die “höchste Form der Zuspitzung einer antagonistischen Freund-Feind-Konstellation” darstellt. Dieses “dominante Konfliktmuster” sei Grundlage einer ideologischen Mobilisierung gewesen, die es linker Theorie schwer machte und zugleich ein Ausdruck der “Macht des liberalen Denkens” war. Vor allem mit diesen Aussagen legt Deppe wohl die Parameter für den zweiten Teilband. Das vorliegende Buch ist ein hervorragender Beitrag zur Kapitalismusanalyse. Überzeugend ist Deppes Darstellung vor allem deshalb, weil sie im Gegensatz zu vielen anderen die realexistierenden Sozialismen und die sog. Dritte Welt nicht ausblendet, sondern als Teil der Weltordnung und nicht einfach als “Peripherie” begreift. Noch eine weitere Stärke gilt es zu betonen: Während in den letzten Jahren die Durchsetzung des Neoliberalismus vor allem als ideologisches Projekt erörtert wurde, analysiert Deppe diese vor allem als Resultat einer tief greifenden ökonomischen Krise. Die LeserInnen des Buches entlässt Deppe in freudiger Erwartung des vierten und wohl letzten Bandes.

Ingo Stützle

Frank Deppe: Politisches Denken im Kalten Krieg. Teil 1: Die Konfrontation der Systeme. VSA Verlag, Hamburg 2006, 332 Seiten, 24,80 EUR, www.vsa-verlag.de

Erschienen in: ak – zeitung für linke debatte und praxis, Nr. 512 vom 15.12.2006

Wir sind alle Konterrevolutionäre. Zum Tod von Milton Friedman

Kein anderer Ökonom steht für die Idee und die Politik der Neoliberalismus wie Milton Friedman, und niemand prägte die zweite Hälfte des letzten Jahrhunderts so wie er. Friedman gehörte zu den vielen neoklassischen Nobelpreisträgern für Wirtschaftswissenschaften in den 1970er Jahren. Seine bekanntesten Schüler sind sicherlich die “Chicago Boys”, eine Gruppe neoliberaler Ökonomen, die als Berater oder Minister unter der Pinochet-Diktatur in Chile ein neoliberales Wirtschaftsprogramm durchsetzten und Chile so zum Testballon für die tief greifenden Umwälzungen in allen westeuropäischen Industriestaaten machten. Am 16. November diesen Jahres ist Milton Friedman im Alter von 94 Jahren gestorben.
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