Denk ich an Marx nicht nur bei Nacht, werde ich gleich eingemacht…

miliosDass man Rasierklingen und die Nagelschere vor dem Flug aus dem Handgepäck nehmen sollte ist bekannt. Inzwischen ist auch zur Vorsicht aufgerufen, wenn man mit bestimmten Büchern verreisen möchte. Der bekannte Autor Tariq Ali musste dies kurz nach den Anschlägen vom 11.09. feststellen, als er in München mit einem frühen “Essay” von Marx am Flughafen “erwischt” wurde: “Vom Selbstmord”. Ein Araber mit diesem Buch – da war für die wachsamen Beamten alles klar. In einem Artikel in der Süddeuschen Zeitung konnte Ali damals Luft ablassen. Schließlich war er sogar von Bürgermeister Ude persönlich eingeladen worden.

In den USA reicht es inzwischen auch, sich überhaupt mit Marx zu beschäftigen, um verdächtig zu sein. So wurde letzte Woche Jannis Milios, Professor für Ökonomie an der Universität Athen am JFK-Flughafen New York fünf Stunden lang verhört. Danach wurde ihm die Einreise in das Land der Möglichkeiten verwehrt. Das teilte der Direktor der Poulantzas Gesellschaft (Athen) mit. Jannis Milios wollte an der Konferenz “How Class Works” an der Stony Brook University teilnehmen.

Milios hat u.a. das (nicht nur ) für den angelsächsichen Raum sehr wichtige Buch Karl Marx and the Classics: An Essay on Value, Crises and the Capitalist Mode of Production” veröffentlicht. Seit Jahren ist er auch politisch aktiv. Zuletzt im Rahmen des Europäischen Sozialforums in Athen. Letztes Jahr hat Milios bei der Jahrestagung des Netzwerks Privatisierung & Öffentliche Güter einen Vortrag (“Öffentliche Güter, gesamtgesellschaftliche Reproduktion und die Veränderung der sozialen Kräfteverhältnisse”) gehalten. Darin heißt es u.a.: “Ein Strukturmerkmal des Kapitalismus ist die Dichotomie zwischen Staat und Ökonomie, die Karl Marx mehrmals analysiert hatte: Der harte Kern des ‘repressiven’ Staatsapparates (die Regierung, die Steuerbehörde, die Polizei, die Justiz…) kann unter keinen Umständen privat sein. Es kann keinen privaten Staat geben.” Das Gegenteil hat der US-amerikanische Staatsapparat mit seiner skandalösen Praxis nicht gerade bewiesen.
Nun ja, wenn man auf der US-Botschaft beim Visumsantrag für ein Auslandsstudium in Berkeley inzwischen schon darüber belehrt wird, dass diese Universität nicht unumstritten sei (“Sie wissen doch – 1968!”), dann wundert einen ja auch gar nichts mehr.

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Nachtrag:

Zumindest in griechischer Sprache ist inzwischen eine Presse-Kampagne angelaufen:

>>> http://www.enet.gr (11.06.)
>>> http://www.ethnos.gr (10.06.)
>>> http://www.enet.gr (10.06.)